europa dokumentaro erschien erstmals im Jahre 1974 als Mitteilungsblatt
der Gesellschaft für sprachgrenzübergreifende europäische
Verständigung (Europa Klub) e.V.. Herausgegeben wurde es zunächst
mit dem von der EG unterstützten Zentrum für europäische
Bildung.
Infolge fehlender Mittel, infolge fehlender wissenschaftlicher und
anderer Unterstützung wurde europa dokumentaro dann mit der
Ausgabe Nr. 43 - 44 im Jahre 1984 eingestellt.
1996 legte Siegfried Piotrowski, Präsident des Europa Klub, europa
dokumentaro, als "Nachfolger" des von ihm bis dahin herausgegebenen
AIS - Informationsdienstes, wieder auf. Er schloß in der Numerierung
nicht an frühere Ausgaben an, sondern begann wieder mit der neuen
Ausgabe 1.
europa dokumentaro erscheint seit 1999 nicht nur als virtuelles,
sondern unter der issn 1434 - 4882 auch als Magazin in konventioneller
Form.
Die neueste Ausgabe datiert aus März 2000. Sie können auf dieser Seite auch noch auf die Ausgaben 10, 11 und 12 zurückgreifen. Davor liegende Ausgaben stehen als Drucksachen zur Verfügung und sind (unter Beifügung von DM 3,-- für Porto) abrufbar beim Herausgeber (siehe Impressum).
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...Bei allen Anstrengungen, die Gemeinschaftssprachen den EG-Bürgern näher zu bringen, werden auch die alten Sprachen nicht vollständig vergessen. Beispielsweise ist die Zahl der Schüler, die Latein lernen, seit einigen Jahren wieder im Steigen.
Alle Gemeinschaftssprachen werden wir wohl nie sprechen - vielleicht
in naher Zukunft aber zwei - und zwar jeder."
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Jiddisch war seit dem Mittelalter eine Verkehrs-und Handelssprache, eine lingua franca, und sie hat jenen Status in jüngster Zeit zumindest ansatzweise zurückgewonnen. Dieser Wandel wird derzeit generell unterschätzt. Deutsche Verlagshäuser, die selbst Kleinsprachen im Programm haben, deren Sprecherzahl weit unter der jiddischen liegt,weigern sich gegenwärtig noch, jiddische Wörterbücher ins Programm zu nehmen. Dabei ist durch die veränderte geopolitische Situation auch in Deutschland die Zahl jiddischer Muttersprachler, die nun im Kontakt mit der Sprache der neuen Heimat sind, sprunghaft gestiegen. Hinzu kommt, daß mit dem zeitlichen Abstand zum II. Weltkrieg auch die Konnotation des Jiddischen mit dem Deutschen seinen Schrecken verliert ("Idisch is taitsch"). Das Jiddische, dem wir heute auch wieder im europäischen Alltag begegnen können, hat eine lange Vorgeschichte.
Mit den Römern, also schon vor der Zeit der europäischen Völkerwanderung,
wenn nicht sogar früher, sind bereits Israeliten in Gebiete gelangt,
die von den späteren Bewohnern als Deutschland bezeichnet wurden.
Generell wird zwischen sephardischen und aschkenasischen Juden unterschieden.
Die Sephardim sind Iberien sowie dem mediterranen und dem arabischen Kultur-
raum zuzuordnen; die Aschkenasim werden kulturell und sprachlich mit
dem deutschen Kulturraum in Verbindung gebracht. Der Talmudgelehrte Ascher
ben Jechiel (ca. 1250 - 1327) erwähnt die "Weisen von Aschkenas",
welche "die Thora als Erbe von ihren Vorfahren in den Tagen der Tempelzerstörung"
erhielten. [1] Der Name Aschkenas taucht in Gen 10.3, 1.Ch 1.6 und
Jer 51.27 auf. Aschkenas ist Enkel Japhets und damit Großenkel Noahs.
Aschkenas taucht in späterer Zeit als Synonym für Deutschland
auf. Der Tradition folgend, ist diese Region also das Siedlungsgebiet der
Nachkommen von Aschkenas. Inwieweit eine genealogische oder aber nur eine
territoriale Verbindung zur heutigen aschkenasischjüdischen Gruppe
herzustel-
len ist, kann hier nicht beantwortet werden. Sofern mit den "Weisen
von Aschkenas", von denen Ascher ben Jechiel schreibt, jene gemeint sind,
die nach heutigem Verständnis als Aschkenasim bezeichnet werden, haben
wir hier einen Hinweis darauf, daß das aschkenasische Judentum bereits
im Jahre 70, dem Jahr nämlich der Tempelzerstörung, etabliert
war. Kaiserliche Dekrete aus den Jahren 321 und 326 belegen die Existenz
einer jüdischen Gemeinde in Köln.
Die jüdische Kulturgruppe ist in einem Gebiet, das später als Deutschland bezeichnet wird, also schon länger ansässig als mancher der germanischen Stämme. Denn, wohlgemerkt: Die Zeit der Völkerwanderung, in der der große Topf Europa kräftig umgerührt wurde, reichte noch bis ins 6. Jahrhundert.
In der Zeit der Kreuzzüge kam es zu gewaltigen Ausschreitungen
gegen Juden. Wie auch viel später in der Nazizeit - Stichworte Raubgold
und Rüstungsfinanzierung-, so dürfte auch damals Habgier ein
sehr konkretes, zentrales Motiv vieler Kreuzfahrer gewesen sein, sich an
diesen Ausschreitungen zu beteiligen. Natürlich fand man stets ideologische
Rechtfertigung. Kaiser und Könige, die den Juden wohlgesonnen waren,
sahen sich angesichts der Masse der Marodeure nicht in der Lage, sie vor
den Übergriffen zu schützen. Es kam zu einem sich von da an vergrößernden
Riß zwischen Judentum und nichtjüdi-
schem Umfeld. Daß eine negative Diskriminierung nicht a priori
bestanden hatte, zeigen die Zeugnisse kultureller und intellektueller Verschmelzung.
So ist das älteste erhaltene Fragment des Gudrun-Liedes, der Dukus
Horent von 1382, mit hebräischen Schriftzeichen geschrieben. Das größte
Kulturzeugnis dieser Art ist jedoch die Sprache selbst. Das heutige Jiddisch
geht, wie andere deutsche Dialekte auch, auf das Mittelhochdeutsche zurück.
Dialektsprecher, etwa aus dem Süden des deutschen Sprachraumes, zeigen
sich oft überrascht über die enge Verwandtschaft.
Das Ripuarische, die alte Sprache des Rheinlandes, hat ihre Spuren im Jiddischen hinterlassen. Sei es die Aussprache des L, seien es Worte wie "owent" für Abend - Sie können im heutigen Kölsch noch einige Parallelen hören. Aber es gibt auch sephardisch-romanische Einflüsse, die über die Hansestädte Hamburg und Bremen einströmten. Dort hatten sich jüdische Händler, aber auch Schiffsbauer und Ärzte aus Iberien niedergelassen, nachdem 1492 Spanien "judenrein" gemacht wurde und nachdem nur fünf Jahre später in Portugal, das viele als Exil gewählt hatten, die Repressionen ebenfalls eskalierten. Als dann um 1700 in der nun norddeutschen Heimat die unterdrückenden Maßnahmen wiederum überhand nahmen, kam es zur erneuten Abwanderung.
Das Jiddische als spezifisch jüdische Variante des Deutschen findet seine Entsprechungen in anderen jüdischen Sprachen, die in nichtjüdischen Umfeldern entstanden. Schon zu biblischen Zeiten gab es eine hebräische Variante des Aramäischen und das Jewanische als ein israelitisches Griechisch. Unter romanischem Einfluß entstanden das Italkianische, im frankophonen Bereich das Safartische sowie das provencalische Schuadit, in Iberien Jidió oder Judezmo. Unter arabischem Einfluß kam es zum Arwischen mit mehreren Subvarianten. Weitere jüdische Sprachen entstanden in Persien, Tadschikistan, Dagestan, im Kaukasus und in Georgien, auf der Krim; so sind auch die verschiedenen karaitischen Sprachen zu nennen. Da vor dem II. Weltkrieg das aschkenasische Judentum 90% der jüdischen Weltbevölkerung ausmachte, war der relative Anteil jiddischer Muttersprachler entsprechend hoch - drei Viertel aller Juden sprachen Jiddisch. Zwischen dem Jiddischen, der jeweiligen Hochsprache und anderen Sprachvarianten gab es immer Wechselwirkungen, so daß wir im heutigen Umgangsdeutsch sogar Worte finden, die wahrscheinlich über das Jiddische aus dem Hebräischen hineingelangt sind (z.B. "Pinke-Pinke" für Geld), die aber im heutigen Jiddisch selten geworden sind, weil sie durch hochdeutsche, slawische oder andere Ausdrücke ersetzt wurden.
Bis in das 20. Jahrhundert ließen sich das West- und das Ostjiddische
unterscheiden. Ersteres war stärker von der deutschen Hochsprache,
teilweise auch vom Alemannischen und vom Niederdeutschen, beeinflußt,
während das Ostjiddische - je länger, desto mehr - Einflüsse
aus dem slawischen Umfeld erhalten hatte. Die westliche Variante verblaßte
im Laufe der Zeit. Besonders ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gelangte
es unter ostjiddischen Einfluß; beispielsweise bildete sich in Paris
eine jüdische Intellektuellenszene heraus, in der ost- auf westjiddische
Kultur traf. Hochdeutscher Sprachstandard und Säkularisierung taten
das ihrige; die Nationalsozialisten versetzten dem Westjiddischen den Todesstoß,
so daß ab der Zeit nach dem Holocaust von gelebter westjiddischer
Sprachkultur keine Rede mehr sein kann. In ländlichen Gegenden West-
und Mitteleuropas können Sie mit viel Glück noch Überbleibsel
westjiddischer Kultur finden; mit noch mehr Glück können Sie
im Elsaß eventuell auf betagte Leute treffen, die noch die alemannisch
geprägte Subvariante kennen. Auch im Schlesischen, einer Mundart,
deren Untergang ebenfalls in direkter Beziehung zum 3. Reich steht, finden
sich vereinzelte Ausdrücke [2] aus dem Westjiddischen, dessen
östlicher Bereich durch Niederschlesien und dessen Interferenzraum
mit dem Ostjiddischen östlich von Breslau verlief. Übrigens dürfte
es hier sprachlichen Einfluß auch unter dem Glaubensfreiheit gewährenden
Friedrich Wilhelm I. durch protestantische und jüdische Übersiedler
aus Österreich gegeben haben. 1965 sammelte Werner Weinberg im Münsterland
unter überlebenden Viehhändlern die "Reste des Jüdischdeutschen"
(1969) ein - und das war's dann; im
Heimatland der Nazis war der Völkermord besonders gründlich
betrieben worden. Dort, wo jiddische Kultur in Westeuropa wieder erblühte,
findet sich heute ein sprachliches Patchwork. So dürfte die Pelikan
Straat in Antwerpen, ein Zentrum des Diamantenhandels, ein spannendes Feld
nicht nur für Semiotiker und Germanisten sein, sondern für Linguisten,
Kultur- und Gesellschaftswissenschaftler allgemein. Die verschiedenen Varianten
jüdischer Kultur und Sprache sind geradezu als global zu bezeichnen.
Der Fall des Westjiddischen kann also als abgeschlossen behandelt werden. Was aber ist mit dem Ostjiddischen? Wie überhaupt war es zu einer östlichen Variante gekommen? - Im Laufe der Jahrhunderte waren jüdische Gruppen - ebenso wie andere Gruppen aus dem deutschen Sprachraum - nach Osteuropa abgewandert. Diese Siedlungsbewegungen erfolgten nicht nur aus wirtschaftlicher Not; allzu oft waren religiöse Verfolgungen ausschlaggebend. Schuld wurde schnell den Juden angelastet, so zum Beispiel, als die Pest in Europa wütete. Immer wieder mußten jüdische Familien gen Osten fliehen, um den Massenmorden zu entkommen, für die es jedesmal eine neue Begründung gab.
Die Gruppen, die aus dem deutschen Raum übergesiedelt waren, behielten
im slawischen Umfeld Osteuropas ihre Sprache bei. Sie blieben eher in einer
vernetzten Weise in Kontakt miteinander, als daß sie sich in die
neue Kultur integrierten. Andere nichtjüdische Siedler aus dem deutschen
Sprachraum, die sogenannten Rußlanddeutschen etwa, haben ebenfalls,
sofern das mitgebrachte Idiom bei Ihnen überleben konnte, bis heute
ihr altes Schwäbisch, Pfälzisch, Niederdeutsch etc. beibehalten
[3] (heute dürfte eine Integration dieser Übersiedler deshalb
in den jeweiligen Dialektgebieten - im ländlichen Schwaben etc. -
erfolgreicher verlaufen als etwa im fremdenfeindlichen ostdeutschen Umfeld).
Kulturpsychologisch betrachtet, wird hier das Dominanzgefälle [4]
zwischen den damaligen Zuwanderern und der bereits ansässigen, slawischen
Bevölkerung Osteuropas deutlich. Das Verhältnis war typisch für
eine Beziehung zwischen Kolonisierten und Kolonisten. Letztere waren deutschsprachig
- mit welcher Variante auch immer. Viele der jüdischen Zuwanderer
waren aus diskriminierenden historischen Sachzwängen Händler
- oft reisende-, aber es entstanden auch Siedlungen mit überwiegend
jüdischem Anteil, die "Stetlech". In der Sprache der jüdischen
Siedler, die sich über weite Gebiete verteilten, kam es zu ausgeprägten
Unterschieden in der Mundart. Diese Subvarianten sind, wie bei natürlich
gewachsenen Strukturen üblich, fraktal verteilt. [5] Es gibt
also keine allzu deutlichen Sprachgrenzen, sondern allenfalls Isoglossen
bei insgesamt fließenden Übergängen. Grobunterscheidungen
werden hinsichtlich "Litwakn" (Baltikum), "Poilischn" (Polen) und "Galizianern"
(Rumänien, Ukraine) vorgenommen, die nicht nur sprachliche, sondern
auch kulturelle Unterschiede aufweisen. So gelten die Litwakn als besonders
glaubensstreng; der eher südlich von ihnen beheimatete Chassidismus,
in dem Lebensfreude und Nächstenliebe betont werden, stellt eine entsprechende
Gegen-
bewegung dar. Dieses Spannungsverhältnis findet, vor allem bei
J. L. Peretz, seinen literarischen Niederschlag. In seinen chassidischen
Geschichten - z.B. "Der dintoire mitn wint", "Di frume kaz", "Oib nischt
noch hecher" - ist er bemüht, die hölzerne, ja oft steinerne
religiöse Härte bloßzustellen.
Das Wiederaufleben des Jiddischen geht auch mit der Wiederentdeckung
jiddischer Kultur einher. Peretz gehört zur Reihe der großen
jiddischen Schriftsteller, die zur Blüte der jiddischen Literatur
im letzten Viertel des 19. und im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts beitrugen.
Zu ihnen zählen auch Scholem Alejchem, dessen "Tewje der milchiker"
im "Fiddler on the Roof" weiterlebt, und Itzik Manger, der noch bis in
die Zeit nach der Shoah wirkte. Letzterer galt als Exzentriker; in der
Tat dürfte er eine der schillerndsten Figuren der jiddischen Literaturszene
gewesen sein. In seinen Verssammlungen etwa, die leider nur noch fragmentarisch
vorhanden sind, vereinigen sich seine eigenwillige Variation des Midrasch,
bei der er biblische Geschichte im Stetl ansiedelt, mit autobiographischen
Momenten und mit stark surrealistischen Elementen; oft erst nach schichtweiser
Interpre-
tation erschließen sich den Lesern die darin verborgenen politischen
oder religiösen Motive, aber auch die Kritik an jüdischer Dogmatik,
die sich vom biblischen Ursprung entfernt hat. Gemeinsames Merkmal der
Autoren jener jiddischen Literaturepoche ist, daß sie sich in einem
Spannungsfeld befanden, in dem sprachliche, religiöse und allgemein
kulturelle Faktoren auf sie einwirkten. Bevor sie die schriftstellerische
Laufbahn antraten, absolvierten sie in der Regel eine profunde Ausbildung,
die entweder traditionell jüdisch, oft aber auch weltlich akademisch
ausgerichtet war. In ihrer Frühzeit betätigten sie sich im Bereich
der jeweiligen Hochsprache, also beispielsweise Polnisch oder Russisch,
sowie teilweise in Hebräisch. Meist waren diese
Schriftsteller mit dem Hochdeutschen vertraut, dessen Literatur nicht
selten sogar Teil ihrer intellektuellen Heimat gewesen sein dürfte.
Ohnehin verschmolzen in der sozialen Oberschicht Osteuropas die unterschiedlichen,
aus dem deutschen Sprachraum stammenden Gruppen im gemeinsamen Gebrauch
des Hochdeutschen. Vielfach distanzierte man sich dort vom jiddischen "Jargon",
das der sozialen Unterschicht zugerechnet wurde. Zwar war man über
Kindermädchen und Dienstboten, Händler und niedriger gestellte
Verwandte mit dem Jiddischen von klein auf vertraut. Man sprach, korrespondierte
und publizierte jedoch, wie beispielsweise Kafka, auf Hochdeutsch.
Die jiddische Literaturszene setzte hier sehr bewußt Gegengewichte.
Zentrales Motiv, so wird jedem Interessierten schnell deutlich, ist der
implizite Hinweis auf die Reichhaltigkeit der Sprache, vor allem in emotionaler
Hinsicht. Jiddisch besitzt eine blumige Metaphorik, vermittelt Heimatgefühl,
stiftet kulturelle Identität und ist frei von den einengenden Normen,
wie sie in den Standards der Hochsprachen vorliegen. Freilich gab es auch
hier Bestrebungen, Regulative einzuführen. 1908 fand die Tschernowitzer
Sprachkonferenz statt, mit dem Ziel, dem Jiddischen zur Anerkennung zu
verhelfen. Diese Weltkon-
ferenz war von Nathan Birnbaum einberufen worden, der im übrigen
auch einer der Väter der zionistischen Bewegung war. Sein Sohn Salomon
Birnbaum brachte eine Grammatik der Jiddischen Sprache heraus, die bis
heute als Standardwerk gilt. Ein anderer Versuch, dem Jiddischen ein grammatisches
Korsett anzulegen, erfolgte durch Max Weinreich; glücklicherweise
sind derartige Initiativen weitgehend im Sande verlaufen. Das gilt auch
für Bestrebungen der späten Sowjetunion, das Jiddische normierend
zu vereinnahmen. Es entstand ein umfangreiches russisch-jiddisch/jiddisch-russisches
Nachschlagewerk,das beson-
ders in seinem Bemühen um "Dehebraisierung" der Schreibweise auffällt.
Der Herausgeber der ebenso programmatisch betitelten Zeitschrift "Sowjetisch
Hejmland" lehrt übrigens heute in Oxford.
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[1] zit. n. Gidal, Nachum T. (1988): Die Juden in Deutschland
von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik. Köln, 1997
[2] z.B. "laab gesunt" als Abschiedsgruß - Vokallängung
im Vokal selbst und nicht, wie im Ostjiddischen, durch Diphtongisierung
(dort: "lejb gesunt")
[3] vgl. Rosenberg, Peter & Weydt, Harald: Sprache
und Identität. Neues zur Sprachentwicklung der Deutschen in
der Sowjetunion. In: Meissner, Boris; Neubauer. Helmut & Eusfeld, Alfred
(Hrsg.): Die Rußlanddeutschen - Gestern und Heute. Köln, 1992
[4] Zum Dominanzkonzept s. Groh, grkg, 1993, 34,
3, 110-118; 4, 172-182
[5] Groh, Arnold: "Westliche Zivilisation ?" Einige Bemerkungen
zur kulturellen Struktur. Arkaden, 1994, 3/3, 12-14
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Gegenwärtig finden wieder Siedlungsbewegungen Jiddisch sprechender
Menschen in größerem Umfang statt, was nicht nur mit der wirtschaftlichen
Situation im ehemaligen Ostblock, sondern vor allem auch mit dem dort herrschenden
Antisemitismus
zu tun hat. Hinterfragenswert ist allerdings die Behandlung, die jüdische
Übersiedler im Vergleich zu anderen Übersiedlern aus Osteuropa
erfahren. Auch die sogenannten "rußlanddeutschen" Aussiedler aus
der früheren Sowjetunion stellen keine homogene Gruppe dar. Ihre kulturelle
Diversität äußert sich besonders in der Dialektgruppenzugehörigkeit.
Zwar ist die von ihnen gemeinsam beherrschte Sprache Russisch, daneben
sind oft auch Kenntnisse des Hochdeutschen vorhanden, aber sofern der jeweilige
Dialekt der Vorfahren noch vorhanden ist, bestimmt er die sprachliche Kernidentität.
Es handelt sich dabei um Varietäten z.B. des Plattdeutschen, Schwäbischen,
Pfälzischen, Hessischen etc. Hinsichtlich dieser Sprachkenntnisse
sind deutliche Generationsunterschiede vorhanden.Besonders jüngere
Übersiedler sprechen oftmals nur Russisch. Die Nicht
beherrschung des Hochdeutschen behindert eine Integration in ein von
der Hochsprache geprägtes Umfeld. Gleichzeitig kommt es oftmals
zur Bildung einer Gruppenidentität, die sich über den Gebrauch
der russischen Sprache als Kommunikationsinstru-
ment innerhalb der Betroffenengemeinschaft konstituiert.
Juden aus der ehemaligen Sowjetunion werden, wenn sie in Deutschland
leben wollen, von den deutschen Behörden streng gesondert behandelt,
es werden ihnen nicht die Rechte der "Rußlanddeutschen" zuerkannt,
schon gar nicht hinsichtlich einer Einbürgerung. Daß sie als
sogenannte "Kontingentflüchtlinge" überhaupt Bleiberecht genießen,
wird als Ausnahme aufgrund der besonderen historischen, negativen Rolle
Deutschlands begründet. Die Zahl jüdischer Übersiedler aus
der GUS ist nicht unbeträchtlich; insgesamt sind von 1990 bis Anfang
2000 nach Deutschland 186.947 eingereist (viele aber nur vorüberge-
hend). Die Wahrnehmung und Klassifizierung der GUS-Juden findet jedoch,
wie leicht zu zeigen ist, in verzerrter Form statt. Hier lassen sich zwei
Aspekte hinterfragen - (1) die Kriterien, aufgrund derer sie von den deutschstämmigen
Übersiedlern unterschieden werden; (2)die Begründung, mit der
sie ausnahmsweise geduldet werden.
Zum ersten Punkt -
sprachliche Argumente: Als die Juden nach Osteuropa migrierten,
nahmen sie das Jiddische mit - ebenso, wie andere Migrantengruppen ihre
jeweiligen, ebenfalls dem Mittelhochdeutschen entstammenden Idiome mitnahmen.
Wie diese hat sich das Jiddische bis in die jüngste Zeit erhalten
(was ein Indiz hinsichtlich der kulturellen Identität ist), so daß
die jüdischen Übersiedler - ebenso, wie die "Rußlanddeutschen"
ihre jeweiligen Dialekte- es entweder selbst beherrschen oder zumindest
von Eltern oder Großeltern kennen. Ihre Sprachgruppenzugehörigkeit
ist nicht weniger deutsch als die der "Rußlanddeutschen";
territoriale Argumente: Ausgangsregion der verschiedenen Migrationsbewegungen,
in denen GUS-Juden wie Rußlanddeut-
sche" aus dem deutschen Kulturbereich nach Osten übersiedelten,
war der territoriale Großraum, der weitgehend deckungsgleich mit
der heutigen Bundesrepublik ist;
genetische Argumente: Europäische Juden sind eindeutig als Europäer zu erkennen, äthiopische Juden sind äthiopid, asiatische Juden tragen asiatische Züge. Aufgrund der Abwanderung aus sehr unterschiedlichen Regionen des deutschen Kulturraums dürfte die genetische Variationsbreite der "Rußlanddeutschen" erheblich sein; gleichzeitig dürfte es weite genetische Überschneidungen mit den GUS-Juden geben. Abgesehen davon erübrigt es sich eigentlich zu sagen, daß rassische Überlegungen bei den Aufnahmeregelungen auszuschließen sind;
nationale Argumente: Der Großteil der Auswanderer, die die Vorfahren der heutigen "Rußlanddeutschen" waren, emigrierte zu einer Zeit, als es gar kein national geeintes Deutschland gab. Wenn deshalb argumentiert wird, das einigende Band von emigrierten Sachsen, Pfälzern, Hessen, Schwaben etc. bestehe darin, daß sie dem deutschen Kulturraum entstammen, so können die GUS-Juden ebenso dieser Kategorie zugerechnet werden,
sozial-historische Argumente: Die kollektive Identität de "rußlanddeutschen" Bevölkerungsgruppen während des Aufenthalts in Osteuropa könnte ins Feld geführt werden. Sie fühlten sich ungeachtet ihrer Dialektgruppenzugehörigkeit als Deutsche und standen auch über Dialektgrenzen hinweg in Kontakt zueinander. Gleiches kann jedoch für GUS-Juden geltend gemacht werden. Viele der Juden Osteuropas dürften sich ebenfalls deutsch gefühlt haben (selbst die Klassifikation "aschkenasisch" wird ja als "deutsch" aufgefaßt). Ihre Vorfahren waren mit der Migration nach Osteuropa Teil der Kolonisten, die maßgeblich am ökonomischen und infrastrukturellen Wandel beteiligt waren.
Unter diesen Gesichtspunkten sind diejenigen Übersiedler, die problemlos einen deutschen Paß erhalten, nicht "deutscher" als die GUS-Juden; anders btrachtet, sind letztere ebenfalls "Rußlanddeutsche". Eine Getrenntbehandlung der genannten Übersiedlergruppen ist deshalb nicht gerechtfertigt.
Zum zweiten Punkt:
-Die angeführten Überlegungen rechtfertigen den Schluß,
daß die Sonderbehandlung der Juden schlichtweg aus dem Grund erfolgt,
daß sie Juden sind. So läßt sich die Ausnahmeregelung,
mit der sie geduldet werden, als etwas anderes erkennen, als was sie vorgeblich
ist - hier spielt eher die Fortführung der diskriminierenden Tradition
eine Rolle als die Kontrapunktion derselben.
-Nun mögen sich bundesdeutsche Regelungen am Eintrag der Nationalitätszugehörigkeit
im GUS-Paß orientieren. Aber: Zum einen bedeutet dies, daß
eine diskriminierende Tradition der Sowjetzeit fortgesetzt wird; zum anderen
werden ja auch nicht nur "Rußlanddeutsche" im engeren Sinne, sondern
auch ihre Verwandten aufgenommen. Und schließlich ist noch darauf
hinzuweisen, daß die bundesdeutsche Verfassung eine Benachteiligung
von Menschen aufgrund ihres Glaubens bzw. einer Re-
ligionszugehörigkeit verbietet.[1]
Schauen wir wieder über unseren Tellerrand, fällt selbstverständlich
Israel ins Auge. Das Land hat durch die Zuwanderungs-
welle aus Osteuropa einen sprunghaften Zustrom von Jiddisch-Sprechern
erhalten, so daß man dort vielerorts mit der Sprache in Kontakt kommt.
Aber nicht nur osteuropäische Zuwanderer sind es, die dort für
das Wiederaufleben des Jiddischen sorgen. Es finden höchst interessante
Wechselwirkungen von Religion, Sprache und bestimmten Kulturelementen statt.
Es ist nicht immer so, daß Zuwanderer mit dem Feld verschmelzen,
indem sie eine Anpassung vollziehen, die in der Übernahme ortsüblicher
Zeichen der Zugehörigkeit besteht. Es kann sogar sein, daß es
mit der Übersiedlung zu Veränderungen kommt, die zu deutlicher
Unähnlichkeit führen. Ende der 1970er Jahre gab es in Israel
relativ wenige sogenannte "Schwarzkittel", osteuropäische Juden,
die nicht nur Jiddisch sprachen, sondern auch noch ihre alte Tracht trugen.
Es sah so aus, als würde dieses Phänomen bald ganz verschwinden,
da die Jüngeren keine Ambitionen zeigten, diese altertümliche
und zudem für die Region unpassend erscheinende Bekleidung anzunehmen.
- Einige osteuropäische Rabbiner emigrierten nach Amerika, wo sie
in verschiedenen Institutionen aktiv wurden und Anhänger um sich scharten.
Von diesen wiederum sind etliche nach Israel eingewandert. Diese Migration
ist mit einer eigentümlichen Metamorphose verbunden: Die Zahl der
"Schwarzkittel" ist in den letzten Jahren in Israel stetig steigend. Talmudschulen
werden eröffnet, in denen sie studieren. Dabei wird, je nach Glaubensrichtung,
das Hebräische streng als "Loschn Ko(j)desch", als heilige Sprache
behandelt, die es für den sakralen Bereich zu reservieren gilt und
die deshalb nicht im Alltag verwendet wird. So steigt dort auch die Zahl
der Kinder, die mit Jiddisch als Umgangssprache heranwachsen - wie man
bei einem Gang z.B. durch Mea Shearim hören kann.
Religion ist das zentrale Moment jüdischen Lebens. Ohne sie gäbe es wohl keine jiddischen Sprachgemeinschaften, zumal Kultur, Sprache und Religion eng miteinander verbunden sind. Es ist aber in einer anderen, kontrastierenden Umgebung nicht leicht, diese Dinge beisammenzuhalten. Auch hier und heute stagniert die Akzeptanz oft im Bereich von Lippenbekenntnissen. Es ist schwer, Religion zu praktizieren, während die "aufgeklärte" Gesellschaft dies wie eine Zwangsneurose betrachtet. Wer z.B. Freitagabend eine Arbeit abbricht, weil der Schabbat beginnt, oder auf einer Feier die schweinshaltigen Speisen ablehnt, kann nicht immer Verständnis von seinen Mitmenschen erwarten. In unserer ach so toleranten Gesellschaft hat der Glaube nach allem, was passiert ist, immer noch einen schweren Stand. Einblick in die Welt des Jiddischen können Außenstehende allerdings nur erhalten, wenn Verständnis die Grundlage der Gespräche bildet. Denjenigen, die Respekt vor dem Respekt vor Gott aufbringen und einfühlsam sind, wird sich eine Welt ohnegleichen auftun.
Religiöser Wandel, der mit dem Gebrauch des Jiddischen verbunden ist, findet jedoch nicht nur in der geschilderten Form des Erstarkens der Orthodoxie in Israel statt. Übersiedler nach Deutschland besitzen ihre Religion oftmals in nur noch fragmentarischer Form. Hiesige Gemeinden, die um religiösen Aufbau bemüht sind, stellen ebenfalls einen Raum dar, in dem die Zuwanderer sich über das Jiddische, das für sie auch ein einigendes Band ist, verständigen. Ein besonders großer Wandel findet jedoch gegenwärtig im Entstehen messianischer Gemeinden statt. Zwar gibt es sie schon seit längerem in den USA und in Israel;[2] unter den in Osteuropa Verbliebenen entstehen nun, mit der Religionsfreiheit, fast wöchentlich neue Gemeinden dieser Glaubensrichtung, die das Jüdischsein von "Jeschua HaMeschiach", von Jesus also, betont, damit auf den Rabbiner aus Nazareth als Messias hinweist und gleichzeitig um Festigung jüdischen Selbstverständnisses bemüht ist. Es handelt sich also um keine Konversion, um keinen Religionsübertritt im klassischen Sinne, sondern vielmehr um eine Integration des Christusglaubens unter sehr bewußter Beibehaltung jüdischer Traditionen. Eine solche Position dürfte sich auch positiv auf den Fortbestand des Jiddischen auswirken, da dieser religiöse Brückenschlag eine gewisse Analogie zu dem beinhaltet, was das Jiddische als Sprache darstellt. Die historische Kluft wird überbrückt, ohne daß die Identität aufgegeben wird. Hingegen ist der übliche Fall, daß Religion gänzlich verworfen wird, meist auch mit dem Verlust des Jiddischen verbunden. Die betreffenden Personen sprechen dann nur noch die Hochsprache des jeweiligen Umfeldes. Auch zielt die orthodoxe Nichtakzeptanz judenchristlicher Gemeinden auf die jüdische Identität und damit auf das Sprachzugehörigkeitsgefühl der Betreffenden.
In der Säkularisierung sind Generationsunterschiede zu beobachten.
Bisweilen scheint es so, als schämten sich die Jüngeren für
ihre traditions- und religionsbewußten, Jiddisch sprechenden Eltern.
Aber auch durch die - wahrscheinlich auf die Zeit der Kreuzzüge zurückgehende
- Regelung, daß ein Mensch nur dann jüdisch sei, wenn die Mutter
Jüdin ist, werden 50% der aus Mischehen Stammenden vor die Tür
der Gemeinschaft gesetzt. Daß eine solche, von den Betroffenen oft
schmerzlich erlebte Ausgrenzung mit einer Abkehr auch von der jiddischen
Sprache verbunden ist, liegt auf der Hand. Noch ist in Deutschland kein
breites Gemeindespektrum wiedererstanden, wie es bis zur Zerschlagung existiert
hatte und in dem in Reformgemeinden Menschen mit einem jüdischen Elternteil
- ungeachtet des Geschlechts - als jüdisch akzeptiert werden.
- Ein weiterer identitäts- und damit Jiddisch-feindlicher Faktor
ist das auch nach dem "3. Reich" fortgesetzte Leugnen jüdischer Wurzeln
in vielen Familien. Anfang der 1930er Jahre gab es in der Welt rund zwölf
Millionen Jiddisch-Sprecher; die Nazis haben diese Zahl auf sieben Millionen
verringert. Jiddisch wurde daraufhin quasi als aussterbende Sprache behandelt.
Wenn Wissenschaftler oder Künstler sich ihr zuwandten, dann vermittelten
sie dabei oft ein Gefühl von Nostalgie. Zwar hatte sich zwischenzeitlich
die Zahl jiddischer Muttersprachler aufgrund der allgemeinen Tendenz, sich
in ein dominantes sprachliche Umfeld zu integrieren, weiter verringert;
andererseits jedoch ist festzustellen, daß Jiddisch von vielen umso
bewußter gesprochen wird. In Israel, wo nach der Shoah Jiddisch einen
schweren Stand hatte, war es Anfang der 1990er Jahre bereits an über
60 Schulen Unterrichtssprache, und auch in London beispielsweise wird an
etlichen Privatschulen auf Jiddisch unterrichtet.
Historisch beispiellos ist der jüdische Zuzug, den Berlin und Umland
nach der Auflösung der Sowjetunion erlebt haben. Hier besinnen sich
die Migranten auf Jiddisch als internationale Sprache zurück. Im Baltikum
ebenso beheimatet wie am Schwarzen Meer, wird von ihr nun Gebrauch gemacht,
wo Russisch wegen der Erinnerungen an die Sowjetherrscher vermieden wird.
An der TU Berlin existiert seit 1997 wieder ein jiddischer Konversationskreis.
Es dürfte sich dabei um den ersten regelmäßig tagenden,
jiddischsprachigen Zirkel in Berlin seit den 1930er Jahren handeln. Hier
kann man auf Menschen treffen, die Jiddisch nicht nur sprechen, sondern
es auch schreiben. Leider verschwinden bislang die vorgetragenen Manuskripte
wieder in der Schublade, weil ein Organ, eine Zeitschrift, die Jiddisches
veröffentlichen würde, fehlt. Doch vor allem bietet dieser Zirkel
Lernwilligen die Möglichkeit, sich mit Muttersprachlern auszutauschen.
Daß es so etwas wieder gibt, läßt hoffen.
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[1] Um die Einhaltung des Grundgesetzes sicherzustellen,
wäre ein Musterprozeß in dieser Angelegenheit geradezu wünschenswert.
[2] In Deutschland dürfte die Zahl der "nichtarischen
Christen" - protestantische und katholische Juden sowie, in eigenen Gemeinden,
Judenchristen - vor der Shoah um die 400.000 gelegen haben (vgl.
Oberlaender, Franklin: Wir sind nicht Fisch und nicht Fleisch. Christliche
Nichtarier und ihre Kinder in Deutschland. Opladen 1996).
[Dr. Arnold Groh, 39, Psychologe und Linguist mit Lehraufträgen
am FB1 (Kommunikations-und Geschichtswissenschaften) der Technischen Universiät
Berlin, beschäftigt sich seit Jahren mit Kulturwandel.
Hilfreiche Verweise:
http://www.reise-know-how.de/
http://www.unicum.de/]
|
"Please add me to your list, also P. B., current president of the Am. Society for Cybernetics."
"Herzlichen Glückwunsch zum Aufbau dieses Kybernetik-Servers! Es ist sehr erfreulich, daß es jetzt eine übergreifende Präsenz dieses wichtigen Gebietes im deutsch-sprachigen Internet gibt. Solche Koordinationsleistungen sind wichtig, um eine fruchtbare Entwicklung aufzubauen. Viel Erfolg!"
Für die vielen zustimmenden und anerkennenden Zuschriften, die ich nach der Einrichtung von kybernetiknet erhielt, stehen diese drei.
kybernetiknet soll
*zukünftig etwa quartalweise als virtuelles Magazin erscheinen,
*europäische kybernetische Institutionen vorstellen,
*über deren Arbeit berichten,
*auf Veranstaltungen hinweisen,
*wichtige kybernetische Arbeiten bekanntmachen,
*die europäische Zusammenarbeit kybernetischer Institutionen fördern.
Ich lade alle Kybernetiker und kybernetischen Vereinigungen herzlich zur Mitarbeit an kybernetiknet ein.
|
A I S
http://www.forst.uni-muenchen.de/OTHERS/AIS/
Europa Klub
http://www.europaklub.de
europa dokumentaro
http://www.europa-dokumentaro.de
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kybernetiknet
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Die sogenannte deutsche Rechtschreibreform ist eine Mißgeburt.
Die Rechtschreibreformer haben das Rad der Geschichte auf eine primitivere
Stufe der Rechtschreibung zurückgedreht. Das Ergebnis ist eine
Schreibverwirrung in den Bereichen der Zusammen- und Getrenntschreibung
(der Nobelpreis für Günter Grass war wohl verdient, bisher richtig:
wohlverdient), in der Groß- und Kleinschreibung (eine Hand voll Milliardäre,
bisher richtig: Handvoll), den Worttrennungen am Zeilenende (Buche-cker),
der ß/ss-Schreibung (Missstimmung, bisher:Mißstimmung), durch
etymologisch falsche Ableitungen (belämmert, bisher richtig: belemmert),
durch eine teilweise Germanisierung von Fremdwörtern (Orthografie,
aber Philosophie) und durch weniger Kommaregeln (Der Vater schlachtete
eine fette Gans und die kleine Tochter des Nachbarn lud er zum Essen ein).
[2] Pädagogen schütteln ob solch einer unpädagogischen Zerstörung
der Eindeutigkeit und Einheitlichkeit der Rechtschreibung verständnislos
den Kopf. Die Änderungen betreffen zu 90 Prozent die ß/ss-Schreibung.
Sie dient nur als Füllmaterial, um überhaupt eine Reform nötig
erscheinen zu lassen. Die Fehlerzahl steigt aber gerade durch die neue
ss-Schreibung stark an, z.B. ausser, Beweiß, Hinderniss, schliessen,
Strasse, Zeugniss. Bereits der Landesrechnungshof Niedersachsen hatte die
Reform wegen ihrer Mängel und der unüberschaubar hohen Folgekosten
abgelehnt. [3]
Die Reformer und Medienkonzerne verwenden absichtlich den irreführenden
Begriff „Amtliches Regelwerk", um der Bevölkerung eine nicht vorhandene
Allgemeinverbindlichkeit der Schreibreform zu suggerieren und vorzutäuschen.
Aber rund 90 Prozent der Bevölkerung schreiben auch über das
Jahr 2005 hinaus weiter wie bisher. Laut Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 14. Juli 1998 gilt die Rechtschreibreform allein
für die Schulen. [4] Nur die Schüler und Lehrer wurden
auf die Neuschreib-Insel verbannt. Beamte und Journalisten wurden ebenfalls
dorthin geschickt. Aufmerksame Beobachter ent-
decken seit 1. August 1999 nun auch in den Zeitungen eine Beliebigkeitsschreibung.
Die Journalisten schrieben wie gewohnt weiter, weil sie beim Neuschrieb
infolge von Interferenzen [5] mehr Fehler machen als bisher. Ihre
Artikel wurden von Rechtschreibkonvertierungs-programmen umgewandelt,
so daß die Zeitungen trotz Handkorrektur jeden Tag Hunderte von blamablen,
falschen und häßlichen Schreibweisen enthielten. Allmählich
wacht die Presse daher auf und merkt, welches Kuckucksei sie sich mit der
sogenannten Rechtschreibreform eingehandelt hat.
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[1] OStR Manfred Riebe ist Vorsitzender des Vereins
für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. (VRS), Schwaig
bei Nürnberg. Der VRS wurde als einer der wenigen Rechtschreibreformgegner
zu den Anhörungen der Zwi-schenstaatlichen Rechtschreibkommission
am 23. Januar 1998 in Mannheim und des Bundesverfassungsgerichts am 12.
Mai 1998 in Karlsruhe eingeladen. Der VRS hatte den Germanisten Professor
Theodor Ickler (Erlangen) entsandt. Am 6. März 1998 trat Riebe zusammen
mit Friedrich Denk, dem Gründer der Initiative „Wir gegen die Rechtschreib-reform"
in Bayern, und Norbert Schäbler, dem Leiter der „Lehrerinitiative
gegen die Rechtschreibreform Bayern", aus Protest gegen die Haltung der
CSU in der Frage der Rechtschreibreform aus der CSU aus. Er trat auch aus
der Ge-werkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aus, weil diese mit
den Schulbuchverlagen und Bertelsmann ein Bündnis für die Rechtschreibreform
schloß und obendrein eine Schulbuchverlegerin, Hertha Beuschel-Menze,
AOL-Schulbuchverlag, Lichtenau, zur Anhörung der Zwischenstaatlichen
Rechtschreibkommission am 23.01.1998 nach Mannheim entsandte.
[2] Peil, Stephanus: Die Wörterliste, 10.
Auflage, Westerburg 1998, erhältlich nur über den VRS.
[3] Rheude, Rainer: Rechnungshof: Schreibreform
wird zu teuer. In: Nordwest-Zeitung 06.06.97;
Vogelsang, Irmgard: Wie ein Rechnungshof die Rechtschreibreform
ansieht. In: FAZ 20.06.97, S. 9
[4] Bundesverfassungsgericht: Urteil vom 14. Juli 1998,
Az.: 1 BvR 1640/97, S. 59
[5] Fröhler kritisiert, die Reformer hätten
die permanente Interferenzwirkung, die Ranschburgsche Hemmung, der einander
widersprechenden Schreibweisen in den Köpfen der Schreibenden nicht
berücksichtigt. Vgl. Fröhler, Horst: Das ändert sich: alle
Wörter mit neuer Rechtschreibung, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag;
Lichtenau: AOL-Verlag, 1996, S. 115
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Ein normaler Zeitungsleser weiß nun nicht mehr, ob es sich um
die traditionelle normale Rechtschreibung oder die neue Primitivschreibung
oder eine Beliebigkeitsschreibung mit einer Mischung aus traditioneller
normaler Recht schreibung und Primitivschreibung handelt.Hermann Unterstöger,
einer der beiden deutschen Journalisten, die für die Süddeutsche
Zeitung aus Wien über die dritte Orthographie-Konferenz vom 22.-24.
November 1994 berichteten, hatte schon im Februar 1997 das Urteil der Germanisten
und Linguisten über die Rechtschreibreform knapp und klar zusammengefaßt:
„Wenn Wörterbücher schlecht sind, ist das zugrundeliegende
Regelwerk mangelhaft; wenn das Regelwerk mies ist, kann die Reform nicht
gut sein; wenn die Reform nichts taugt, gehört sie überarbeitet;
wenn die Reform überarbeitet werden muß, kann man sie gleich
stornieren, zum mindesten bis zur Beseitigung aller Mängel aufschieben."
[6]
Im Gegensatz zu diesem vernichtenden Urteil der Sprachwissenschaftler
verteidigte Unterstöger bis vor kurzem die Rechtschreibreform. Aber
seit die Journalisten beruflich zum Schreiben der neuen Rechtschreibung
gezwungen waren, lernten sie allmählich die Mängel der neuen
Primitivschreibung kennen. Unterstöger war der erste Journalist, der,
angeregt durch einen Aufsatz des Germanisten Theodor Ickler (Erlangen),[7]
das Scheitern der Reform offenlegte.[8] Er illustrierte mit einer
Auswahl repräsentativer Blüten der sogenannten neuen Rechtschreibung
den Rechtschreibwirrwarr. Auch Nachschlagen nützt nichts, [9]
weil die mehr als 20 verschiedenen Wörterbücher (Aldi, Bertelsmann,
Duden, Eduscho, Österreichisches Wörterbuch, Wahrig usw.) wegen
der Mangelhaftigkeit der Reform in den Schreibweisen voneinander abweichen.
Unterstöger beantwortete seine Frage, ob eine Reform der Rechtschreibreform
nötig sei: Die Reform hätte eingestellt werden müssen.
Studiendirektoren der Initiative „Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform"
hatten nachgewiesen, daß die Zahl der Rechtschreibfehler durch den
Neuschrieb steigt! [10] Da aber sogar die Reformer lange Zeit übersahen,
daß ihr Regelwerk eine Fehlkonstruktion ist, ist es kein Wunder,
daß auch die meisten Journalisten viele Fehler nicht erkennen und
daß nur fachkundige Leser alle Schreibfehler bemerken. Theodor Ickler
führte den Rechtschreibreformern die Mangelhaftigkeit ihres Regelwerks
vor Augen. Daraufhin schlugen die Reformer im Dezember 1997 Änderungen
vor, [11] die die Kultusmi-
nister aber ablehnten. Die Kultusminister interessieren die Schreibprobleme
nicht; denn sie diktieren und lassen schreiben. Sie müssen deshalb
nicht in den fehlerhaften Wörterbüchern nachschlagen. Seitdem
unterrichtete die Rechtschreibkommission ausgewählte Wörterbuchverlage
in zehn geheimen Beratungsrunden exklusiv über bevorstehende Änderungen!
[12] Die privi-
legierten Wörterbuchverlage „reformieren" bzw. verschlimmbessern
deshalb ihre Wörterbücher.
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[6] Unterstöger, Hermann: Ab häute schreiben
wi ich will? Neues Nachdenken über die Rechtschreibreform. In: SZ
19.02.97, S. XI
[7] Ickler, Theodor: Wann kommt die Reform der
Reform? ... - Eine Zwischenbilanz. In: DIE WELT 20./21.11.99, S. W 4
Ickler, Theodor: Die sogenannte Rechtschreibreform. Ein
Schildbürgerstreich, 2. Auflage, St. Goar: Leibniz-Verlag, 1998
Ickler, Theodor: Kritischer Kommentar zur „Neuregelung
der deutschen Rechtschreibung", 2. Auflage, Erlangen: Verlag Palm &
Enke, 1999
[8] Unterstöger, Hermann: Reform der Schreibreform
nötig? In: Süddeutsche Zeitung 04.01.2000, S. 4. Unterstögers
Artikel wurde in „Die Presse", Wien, am 05.01.2000, S. 2, unter „Pressestimmen"
auszugsweise abgedruckt. Am 17.01.2000 brachte die Süddeutsche Zeitung
15 Leserbriefe, die die Beobachtungen Unterstögers bestätigten.
[9] Unterstöger berichtet von der grossen
Unlust der Journalisten, ein Wörterbuch zu benutzen. Dennoch hätten
noch nie so viele Journalisten zum Wörterbuch gegriffen, nur wegen
der Rechtschreibreform.
[10] Ein Auszug aus der Untersuchung der Lehrerinitiative
ist enthalten in Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege
e.V.: Unser Kampf gegen die Rechtschreibreform, Nürnberg 1998, S.
10 ff., erhältlich über den VRS.
[11] Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission
für deutsche Rechtschreibung: Vorschläge zur Präzisierung
und Weiterentwicklung aufgrund der kritischen Stellungnahmen zur Neuregelung
der deutschen Rechtschreibung. Mannheim, Dezember 1997
[12] Ickler, Theodor: Rechtschreibreform
- eine Zwischenbilanz. In: Die Presse (Wien), 24.12.99, S. 2
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So werden Bücher laufend volkswirtschaftsschädlich künstlich
veraltet. Ein Medienkartell aus Buch- und Zeitungsverlagen und Nachrichtenagenturen
hat sich die Sprache angeeignet. Es verändert, zum Teil in Absprache
mit den Reformern, die Wörter laufend wie eine Handelsware, um auf
diese Weise weltweit Geschäfte zu machen. Inzwischen ist dadurch die
Einheitsrechtschreibung zerstört und in eine Vielzahl unterschiedlicher
Hausorthographien zersplittert. Der Vorsitzende der Zwischenstaatlichen
Rechtschreibkommission, Professor Gerhard Augst (Siegen), fordert: „Das
amtliche Regelwerk soll auf Grund der Kommissionsergebnisse alle zehn Jahre
neu aufgelegt werden. Zwischenzeitlich sind marginale Veränderungen
und Wortnachträge in den Nachdrucken möglich."[13] „Die
Deutschen" sollen merken, „daß die Rechtschreibung nicht sakro-sankt"
ist, sagt Augst anmaßend. [14] In diesem Sinne griffen die sogenannten
Reformer in die natürlichen Strukturen der Rechtschreibung ein und
schufen nach eigenem Gutdünken künstliche neue, aber fehlerhafte
Rechtschreibregeln. Augst will einen kleinen Präzedenzfall als Freibrief
für permanente Rechtschreibreformen schaffen. Die Reformer Augst,
Blüml, Gallmann und Sitta betonten: „Es ist ein Anfang gemacht worden,
weitere Vereinfachungen und Verbesserungen können sich zu einem späteren
Zeitpunkt anschließen."[15] Der Reformer Professor Dieter Nerius
bestätigte dies, die Reform sei „ein Schritt in Richtung auf die angeführte
Zielsetzung". [16] Die Reformer halten wegen der festgestellten Mängel
eine Reform der Reform für „unumgänglich".[17] Machen wir uns
nichts vor: Der „keiser, der den al im bot isst", ist noch nicht tot! Was
1996 noch nicht durchsetzbar war, werden die Reformer nach dem Jahr 2005
erneut auf die Tagesordnung setzen: die konsequente Kleinschrei- bung und
die Preisgabe der der Unterscheidungsschreibung, der Dehnungszeichen und
insbesondere die Abschaffung des „ß".
Die Leidtragenden sind nicht nur die deutschen Staatsbürger, sondern
auch die Bürger aller anderen Staaten der Erde. Der aufgezwungene
Schreibwirrwarr bereitet ihnen Ärger und Mühe, und obendrein
müssen auch die ausländischen Bürger über Steuern und
Preiserhöhungen die Kosten für dieses untaugliche Massenexperiment
mittragen. Zur gleichen Zeit fehlt aber das Geld im Schulwesen, und es
werden Goethe-Institute im Ausland reihenweise geschlossen.
„Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung,
Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!" (VRS)
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[13] Augst, Gerhard / Strunk, Hiltraud: Dokumente
zur Einführung der amtlichen Rechtschreibung in den deutschsprachigen
Ländern 1901-1903. In: Muttersprache, Band 99, 1989, S. 236
[14] Augst, Gerhard: Vorsitzender der Rechtschreib-Kommission
empfiehlt: Reformstart ohne Kompromiß. Interview von Rainer Nübel.
In: Stuttgarter Nachrichten 31.01.98, S. 20;
15] Sitta, Horst / Gallmann, Peter, in Zusammenarbeit
mit Gerhard Augst und Karl Blüml: Duden, Informationen zur neuen deutschen
Rechtschreibung: Nach den Beschlüssen der Wiener Orthographiekonferenz
vom 22.-24.11.1994 für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Mannheim: Dudenverlag, 1994, S. 7
[16] Kurzprotokoll der öffentlichen Anhörung
des Bildungsausschusses des Landtags Mecklenburg-Vorpommern vom 06.10.99,
S. 11 und 13
[17]Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für
deutsche Rechtschreibung, Dezember 1997, S. III
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Europäisches Bürgerrecht auf kulturneutrale internationale
Kommunikation
Vorträge und Diskussionen
Eine Veranstaltungsfolge der Stiftung Europaverständigung e.V.
in Zusammenarbeit mit der
Gesellschaft für sprachgrenzübergreifende europäische
Verständigung
(Europa Klub) e.V.
Montag, 2. Mai 2000, 19:30 Uhr
im Hörsaal F der Universität Hamburg
Edmund-Simers-Allee 1 (gegenüber dem Bahnhof Dammtor)
Das Schweigen der Bürger - Europas Vielfalt
der Sprachen und ihre Internationalität auf dem Prüfstand
Prof. on. Dr. Siegfried Piotrowski, Lucian-Blaga-Universität in
Hermannstadt (Sibiu) RO
Donnerstag, 11. Mai 2000, 19:30 Uhr
im Esperanto-Haus
Klaus-Groth-Str. 95 (Nähe U-Bahn Burgstr.)
Neue Schwierigkeiten bei den Sprachen
Prof. (AIS) Dr. Werner Bormann, Internationale Akademie der Wissenschaften
San Marino
Brauchen wir ein europäisches Bürgerrecht
auf kulturneutrale internationale Kommunikation ?
Gerhard Hein, Stiftung Europaverständigung e.V.
Stiftung Europaverständigung e.V.
Scheideholzweg 85 A, 21149 Hamburg, Telefon 040/70121769,
Telefax 70121779
|
17. - 24. April 2000
Sankt Andreasberg, Harz,
printempa semajno internacia
Anmeldeinformationen bei Wolfgang Bohr, Johannes-Kirschweng-Str. 11,
53474 Bad Neuenahr - Ahrweiler,
Telefon 02461/4885
eMail: psi@esperanto.de
12. - 14. Juni 2000
Hradec Králové (Königgräz/CZ)
Prager Konferenz über kybernetische Pädagogik
Kybernetische Modelle in der Bildung und zwischenmenschlichen
Kommunikation
Internationale Konferenz unter der Schirmherrschaft des Rektors der
Pädagogischen Universtität Hradec Králové,
Prof. Ing. Pavel Cyrus CSc
Organisatoren der Konferenz sind:
Pädagogische Universität in Hradec Králové,
Südböhmische Universität in Ceske Budejovice,
Internationale Akademie der Wissenschaften (AIS) San Marino,
GPI Gesellschaft für Pädagogik und Information,
IfK Institut für Kybernetik Berlin e.V./GKK,
Europa Klub e.V.
Es ist vorgesehen, im Rahmen dieser Konferenz auch den Wiener-Schmidt-Preis
2000 durch das IfK, selbständige Sektion der GPI, zu verleihen.
Anmeldeinformationen:
eMail: martin.bilek@vsp.cz
15. - 16. Juni 2000
Paderborn
Europadiskurs und Multimedia
GPI-Fachtagung für zeitgeschichtliche Erwachsenenbildung
Anmeldeinformationen:
eMail: gpi-e.v.@firemail.de
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Europäisches Bürgerrecht auf kulturneutrale internationale Kommunikation
Das Schreiben der
Büro
des Bundespräsidenten a.D.
Herrn Professor
Dr. Roman Herzog
Postfach 86 04 45
81631 München
Hagen, 2000-01-06
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Herzog,
wir entnahmen einer Pressenotiz, daß Sie zum Vorsitzenden des
Gremiums berufen wurden, das eine Europäische Grundrechts-Charta
formulieren soll. Zu diesem ehrenvollen Amte gratulieren wir Ihnen herzlich
und wünschen Ihnen für Ihre Aufgabe eine glückliche Hand.
Wir stimmen mit Ihnen darin überein, daß schon bei der Entwurfsarbeit
auf jede einzelne Formulierung achtgegeben werden muss. Als Organisationen,
die sich schon seit vielen Jahren für leichtere Verständigungsmöglichkeiten
für alle Bürger im vielsprachigen Europa einsetzen, fühlen
wir uns aufgerufen,die Formulierung eines diesbezüglichen
Europäischen Bürgerrechts
Wir,
das sind die vor 25 Jahren gegründete Gesellschaft für sprachgrenzübergreifende
europäische Verständigung,
Europa Klub e.V.
und
die Stiftung Europaverständigung e. V.,
postulieren hierdurch gemeinsam das
Zur Begründung:
Wir sind der Meinung, daß das vielsprachige "Europa der Bürger"
zur besseren Wahrnehmung von Bürgerrechten sowie zur Stärkung
des europäischen WIR-Gefühls und Gemeinsinns dringend eine bürgerfreundlichere
Lösung seines Sprachenproblems braucht. Das Sprachen- bzw. Verständigungsproblem
berührt fundamentale Bürgerinteressen:
1. Gleichberechtigung
Die aktive, demokratische, grenzübergreifende Teilhabe am "Europa der Bürger", die zur Zeit noch (überwiegend nicht vorhandene) Fremdsprachenkenntnisse erfordert, kann und darf nicht Vorrecht für eine "Sprachelite" sein und bleiben. Sie ist vielmehr grundsätzlich und gleichberechtigt auch für die weniger sprachenbegabten Bürger zu fordern. Das "Recht auf kulturneutrale internationale Kommunikation" hat nicht zuletzt auch eine soziale Komponente.
2. Chancengleichheit
Nicht alle Menschen bekommen in ihrem Leben die praktische Möglichkeit
oder haben die Fähigkeit, zwei oder mehr Fremdsprachen zu erlernen
und zu beherrschen. Häufig genug sind weniger Sprachbegabte sogar
besondere Leistungs-
träger in unserer Gesellschaft, weil sie Zeit, Kraft und Kreativität
mehr zum Erwerb ihrer Fachkompetenz und weniger zum Erwerb einer vielseitigen
sprachlichen Kompetenz verwenden. Sollen sie keine Chance erhalten, über
die Sprach-
grenzen hinweg wirken zu können ?
3. Effektivität
Für ein zukunftsfähiges "Europa der Bürger" kommt es darauf an, daß sich möglichst alle Menschen untereinander verständigen können. Das ist nur zu erreichen, wenn grundsätzlich alle überall in Europa in der Schule dieselbe Sprache als erste Fremdsprache lernen. Mit den gegenwärtigen Regelungen kann ein solches erstrebenswertes Ziel bedauerlicherweise nicht erreicht werden. Selbstverständlich ist neben der gemeinsamen 1. Fremdsprache dringend das Lernen weiterer zu fördern, insbesondere der Sprachen der jeweiligen Nachbarländer.
4. Erleichterung
Bei der Wahl der ersten Fremdsprache ist aus unserer Sicht dringend
zu berücksichtigen, daß der Lernaufwand für den einzel-
nen Bürger (und natürlich für die Bevölkerungsmehrheit)
wesentlich verringert wird. Durch die geringere persönliche Belastung
und durch die Lernleichtigkeit soll bewirkt werden, daß in Europa
so viele Menschen wie möglich in die Lage versetzt werden, die 1.
Fremdsprache mit großem Erfolg im praktischen Leben anzuwenden. Es
dürfte den meisten Menschen leichter fallen, wenigstens eine Fremdsprache
gut zu beherrschen, als sich kompetent in mehreren ausdrücken zu können.
5. Neutralität und Gleichbehandlung
Das europäische Sprachenproblem läßt sich aus unserer
Sicht auf Dauer erfolgreich und ohne Sprachenstreit nur auf kulturneu-
trale Art und Weise und unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsat-zes
lösen. Fremdsprachen lehren und lernen kostet Zeit, Kraft und Geld,
auch und gerade Steuergelder. Internationale Kommunikation ist ein bedeutender
Wirtschafts-, Kosten- und Wettbewerbsfaktor. Deshalb sollte vermieden werden,
daß einzelne Staaten bevorzugt, andere benachteiligt werden.
Es gehört zu den großen Selbsverständlichkeiten einer
jeden Regierung, daß sie das Funktionieren der innerstaatlichen Kommunikation
für den Zusammenhalt des Staates auf allen Ebenen durch Unterrichtung
der Landessprache(n) an den Schulen sicherstellt. So macht zum Beispiel
erst die Unterrichtung von Hochdeutsch die problemlose Verständigung
zwischen Nordfriesen und Bayern möglich.
Analog sehen wir die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Pflicht, die
Voraussetzungen zu schaffen, daß sich die europäischen Bürger
trotz der herrschenden und nicht zu beschneidenden Sprachenvielfalt untereinander
verständigen können, und zwar auf die einfachste und wirtschaftlichste
Art und Weise, die möglich ist. Wir meinen, daß die Bürger
darauf ein Recht haben - ein Bürgerrecht ! Ein Bürgerrecht auf
"kulturneutrale internationale Kommunikation".
Dieses Bürgerrecht halten wir durchaus auch für durchsetzbar:
Seit mehr als einhundert Jahren beweist zum Beispiel die Internationale
Sprache des Dr. Esperanto, daß mit ihr die Ueberwindung von Sprach(grenz)schwierigkeiten
auf einfache und wirtschaftliche Art und Weise praktisch möglich ist.
Ende Juli 1999 fand in Berlin ein Esperanto-Weltkongreß statt. Annähernd
3000 Teilnehmer aus 65 Ländern nahmen daran teil.
Zur Durchsetzung des von uns vorgeschlagenen Bürgerrechts sollte
nach unseren Vorstellungen Latein oder die Internationale Sprache Esperanto
als eine Art "europäische Hochsprache" in die Verständigungsinfrastrukturen
(Schulen,Universitäten etc.) der europäischen Länder aufgenommen
werden. - Das stellt sicher kein unlösbares Problem dar !
Im Vergleich zu anderen Fremdsprachen ist Esperanto, davon konnte sich
in Berlin jeder der wollte, überzeugen, wesentlich schneller, leichter
und damit wirtschaftlicher zu erlernen. Ihre Kenntnis erleichtert, wie
beispielsweise auch bei Latein, das Erlernen weiterer Fremdsprachen.
Wer schon als Lehrer befähigt ist, eine Fremdsprache zu unterrichten,
der kann nach einer kurzen Vorbereitungszeit (eine bis vielleicht zwei
Wochen) die Internationale Sprache für Anfänger unterrichten
und dabei parallel seine persönliche Sprachkompetenz sehr rasch erweitern.
Das ist keine Theorie. Jeder kann sich selbst davon überzeugen,
daß eine solche Vorgehensweise funktioniert. Das Lernen von Latein,
auch in einer zu schaffenden vereinfachten Form, dauert länger.
Es dürfte keine Utopie sein, die Internationale Sprache Esperanto
oder Latein zeitgleich in allen europäischen Ländern als gemeinsame
1. neutrale, keine andere Sprache diskriminierende Fremdsprache an den
Schulen einzuführen. Ist es nicht der EU gelungen, auch den Gemeinsamen
Markt und die gemeinsame Währung einzuführen ?
Wir sind der Überzeugung: Sprachgrenzübergreifende Verständigung
ist in unserer Zeit ein Grundbedürfnis der Menschen und ausschlaggebend
für die Fortentwicklung der Europäischen Union. Die offizielle
Sprachenpolitik der EU darf nicht behindern, sie muß den modernen
Erfordernissen zukunftsorientiert angepaßt werden. Mit anderen Worten:
Den Bürgern dürfen nicht länger Möglichkeiten und
Chancen vorenthalten werden, die mit der europaweiten Einführung einer
neutralen gemeinsamen Fremdsprache, wie beispielsweise Esperanto oder Latein,
verbunden wären.
Den Bürgern darf auch nicht länger zugemutet werden, sich
international so umständlich, zeit- und kostenaufwendig zu verständigen,
wie bisher. Die Verständigungsmöglichkeit in einer gemeinsamen
neutralen Sprache muss zum Allgemeingut aller Europäer werden.
Wir bejahen das Projekt der EU-Kommission "2001 soll Europäisches
Jahr der Sprachen werden" ausdrücklich und haben es auch im Mitteilungsblatt
europa dokumentaro, Ausgabe Dezember 1999 herausgestellt. Auch wenn
einmal alle europäischen Bürger neben ihrer Muttersprache zwei
Gemeinschaftssprachen beherrschen sollten, bleibt eine kulturneutrale gemeinsame
Sprache Voraussetzung für die Öffentlichkeit der EU, für
eine gemeinsame Identität. Eine Rundfunksendung zu Beginn eines neuen
Tages könnte "Guten Morgen, Europa" lauten und jeder Bürger würde
sie verstehen.
Wir hoffen, sehr geehrter Herr Professor Dr. Herzog, daß unsere
Gedanken in den Entwurf einer Europäischen Grundrechts-Charta einfliessen
werden und sehen Ihrer Stellungnahme mit großem Interesse entgegen.
Im Mai werden unsere Vereinigungen in der Universität Hamburg
im Rahmen der Europa-Woche 2000 einen Vortragszyklus zu dem hier angesprochenen
Thema veranstalten. Zur Darlegung Ihrer Sichtweise laden wir Sie, oder
einen von Ihnen benannten Referenten, ganz herzlich ein.
Mit freundlichen Grüßen
für die Stiftung Europaverständigung
für den Europa Klub
(Gerhard Hein)
(Siegfried Piotrowski)
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