ausgabe nr. 16
dezember 2000 issn
1439 - 216X
An erster Stelle stehen meine besten Wünsche
für Ihr persönliches Wohlergehen im Neuen Jahr.
Ich wünsche Ihnen von Herzen Gesundheit,
Glück und Erfolg.
In insgesamt drei [Nrn. 10, 13 und 15]
Ausgaben seit Juli 1999 habe ich Beiträge veröffentlicht, die
sich
mit der Rechtschreib"reform" kritisch
auseinandersetzten. Es hat nicht nur Zustimmung -wenn auch überwiegend-
zu den veröffentlichten Beiträgen gegeben.
Ich gebe heute gerne Professor Back die
Möglichkeit, aus seiner Sicht zur Auseinandersetzung über die
deutsche Rechtschreibung Stellung zu nehmen und lasse auch das Mitglied
des Beirats des Europa Klub, Rechtsanwalt und Dipl.-Psych. Helmut Welger,
mit seinen "Ergänzungen und Hervorhebungen" zu diesem Beitrag zu Wort
kommen.
Im Literaturverzeichnis zur deutschen
Rechtschreibung fehlt ein sehr wesentlicher Beitrag. Die FAZ, die ihre
Leser seit dem 1. August nicht mehr mit der neuen Rechtschreibung quält,
gab im Oktober 2000 die kosten- lose Broschüre "Die Reform als Diktat"
heraus. Diese Dokumentation ist eine Chronik, die nachvollzieht, auf wie
vielen Ebenen der Kampf um die "Reform" ausgefochten wurde.
Am 13. Oktober fand in Berlin die Mitgliederversammlung des Europa Klub statt. Den abgegebenen Ge- schäftsbericht finden Sie auszugsweise in dieser Ausgabe.
Ich habe am 2. Mai 2000 in Hamburg einen Vortrag über Europas Vielfalt der Sprachen gehalten. Auf vielfachen Wunsch finden Sie den Text -in leicht gekürzter Fassung- ebenfalls in dieser Ausgabe.
Am 10. und 11. November fand in Berlin
das Kolloquium "Kybernetik steckt den Osten an - Wieners Ideen in Osteuropa
und der DDR" statt. Lesen Sie dazu eine kurze Zusam-menfassung von Dr.
Frank Dittmann.
Ausführliche Informationen einschließlich
Kurzfassungen der gehaltenen Referate finden Sie im Internet auf
der Seite http://www.kybernetiknet.de.
Das, was "vorläufig" an Ergebnissen
bekannt geworden ist, kann man ganz sicher nicht als "auf hoher Staatskunst
basierend" bezeichnen. Aber, es ist ohnehin noch gar nicht möglich,
sich ein abschließendes
Urteil zu bilden. Es gibt bisher keine
offiziell bestätigte Fassung des Vertragswerks vom 10. Dezember 2000.
Ich empfehle allen Interessierten folgende Lektüre:
Der Vertrag von Nizza, 109 Seiten und drei
Anhänge
vorläufiger vom Rat ins Internet
gestellter Text:
http://ue.eu.int/cigdocs/de/cig2000-DE.pdf
Aktuelle Dossiers, die die Europa-Redaktion von politik-digital vor und nach dem Gipfel erstellte:
http://www.politik-digital.de/europa/dossier/nizza/
Naiin - die Abkürzung für "no
abuse in internet" ist ein Verein gegen Mißbrauch im Internet.
Naiin ist eine Gründung von Firmen der Internet-Industrie gemeinsam
mit Vereinen, Verbänden und Privatpersonen, die
sich für Demokratie und Menschenrechte
im Internet einsetzen, das heißt gegen einen Mißbrauch im Internet
durch Rechtsradikale, Kinderpornographie etc. angehen wollen. Naiin
will seinen Beitrag dazu leisten, daß
das Internet ein freies und demokratisches
Medium bleibt, in dem Aufrufe zu Gewalt und Rassenhaß, Kinderpornographie
etc. keinen Platz haben. Eines der Mitglieder, der Vorsitzende der
jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, hat es so formuliert:
"Es kann nicht sein, daß das Grundgesetz im Internet nicht gilt."
- genau dafür setzt Naiin sich ein.
Die konktrete Arbeit von Naiin liegt gegenwärtig in drei Bereichen: 1. Meldestelle, 2. Information und Aufklärung und 3. Erarbeitung rechtlicher und technischer Maßnahmen.
Die Meldestelle arbeitet mit einem Formular
auf der Homepage von Naiin. Internetuser können dort rechtsradikale
oder kinderpornographische Seiten angeben. Diese Seiten werden dann geprüft
und gegebenenfalls dem zuständigen Provider gemeldet. Die meisten
deutschen Provider sind bereits Mitglied.
Diese Provider haben auf die bei ihnen
gehosteten Homepages einen direkten Zugriff, sie können sie beispielsweise
einfach abschalten. Zwar können die in Deutschland abgeschalteten
Seiten ins Ausland abwandern, aber erstens wäre es trotzdem unhaltbar,
wenn deutsche Internetprovider den Rechtsradikalen
ein Forum zur Verbreitung ihrer Haßaufrufe
bieten, und zweitens soll die Arbeit mittelfristig auch international ausgerichtet
werden. Seit Gründung des Vereins wurden etwa 120 rechtsradikale und
10 Kinderpornogra- phische Seiten abgeschaltet.
Um der Gefahr der Zensur zu entgehen, gibt es Arbeitsgruppen, die entsprechende Richtlinien erarbeiten. In der Arbeitsgruppe Technik werden technische Möglichkeiten geprüft, die zur Austrocknung der Informations- kanäle der entsprechenden Personen oder Gruppen beitragen können.
Weitere Arbeitsgebiete von Naiin sind Information
und Aufklärung; in unregelmäßig erscheinenden Newslet-
ters werden aktuelle Berichte zum Thema
versandt. Noch befindet sich Naiin in der Aufbauphase, es werden
sicherlich noch viele weitere Aktivitäten hinzukommen.
Der Europa Klub will diese Arbeit nach
Kräften unterstützen.
Aus dem Bericht des Präsidenten zur
am 13. Oktober 2000 in der Staatsbibliothek, Lessing-Saal, Berlin,
Unter den Linden stattgefundenen
Mitgliederversammlung zitieren wir auszugsweise:
Der von uns mitveranstaltete "Berliner November"1999 stand unter dem Rahmenthema "Kybernetische Visionen - (Re)Visi-on der Kybernetik". Erstmals verliehen wurde der von mir initiierte vom Institut für Kyber- netik Berlin e.V. und der AIS-Sektion Kybernetik getragene neue Preis für Gesellschafts- und Organisations- kybernetik, Philosophie und Geschichte der Kybernetik. Der erste Preisträger, nach dem der Preis zukünftig auch benannt wird, war Professor em. Dr. phil. Herbert Stachowiak.
Anläßlich der Europawoche 2000
in Hamburg veranstalteten wir gemeinsam mit der Stiftung Europaver-
ständigung (http://www.stiftung-europaverstaendigung.de)
unter dem Rahmenthema "Europäisches Bürger-
recht auf kulturneutrale internationale Kommunikation" eine Vortrags- und
Diskussionsfolge. Unser Mitglied
Dr. Werner Bormann hielt am 11. Mai den
Vortrag "Neue Schwierigkeiten bei den Sprachen", unser Mitglied Gerhard
Hein, zugleich Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Europaverständigung
sprach am gleichen Tage zum Thema "Brauchen wir ein europäisches Bürgerrecht
auf kulturneutrale internationale Kommuni-
kation ?".
Ich habe am 2. Mai in der Universität
Hamburg zum Thema "Europas Vielfalt der Sprachen und ihre Internationalität
auf dem Prüfstand" referiert.
Vom 12. bis 14. Juni fand in Königgräz (Hradec Kralove/CZ) die 8. Prager Konferenz über Kybernetische Pädagogik statt, die wir ebenfalls mitveranstaltet haben. Hier wurde zum 3. Mal der Wiener-Schmidt-Preis verliehen. Preisträger war Professor Dr.-Ing. Uwe Lehnert, Berlin.
Auch für den Europa Klub habe ich am 1. September an dem Kolloquium "Europa im Gespräch" an der FernUniversität in Hagen teilgenommen.
Über alle erwähnten Veranstaltungen ist ausführlich in europa dokumentaro berichtet worden. Seit der letzten Mitgliederversammlung am 24. Oktober 1999 in Hannover sind weitere vier Ausgaben europa dokumentaro erschienen.
Wir haben bei der letzten Mitgliederversammlung
beschlossen, uns öffentlich für die Aufnahme eines Bürgerrechts
auf kulturneutrale Kommunikation in die europäische Bürgerrechts-Charta
einzusetzen. Das
ist einerseits mit dem Antrag, den wir
gemeinsam mit der Stiftung Europaverständigung an Roman Herzog gerichtet
haben, geschehen, andererseits mit der Veranstaltungsfolge bei der Europa-Woche
in Hamburg.
Ich habe für uns freundschaftliche Verbindungen zur Leibniz-Sozietät geknüpft, die auch zur Einladung führten, am heutigen und morgigen Kolloquium "Die Verschiedenheit von Kulturen und das Sprachproblem" teilzunehmen und unsere heutige Mitgliederversammlung zu integrieren.
Weder der Europa Klub noch die Gesellschaft für Kybernetik, wie das Institut für Kybernetik seit seiner Umbenennung am 31. August diese Jahres nun heißt, werden mit TAKIS bzw. der AIC kooperieren.
Auch eine Zusammenarbeit mit dem Verein
zur Wahrung der deutschen Sprache kommt -zumindest in
nächster Zeit- nicht in Betracht.
Die zu unserem 25. Geburtstag, den wir im vergangenen Jahr begingen, geplante Festschrift nimmt Formen an.
Herr Retzlaff, der in letzter Minute mitteilte, daß er heute doch nicht kommen kann, hat sein Amt als Schatzmeister mit Wirkung zum 1. Januar vorigen Jahres angetreten. Ich werde gleich seinen Kassenbericht und auch den der Kassenprüfer verlesen.
Wir haben im vergangenen Jahr DM 6.000,--
Darlehen ablösen können, das uns die AIS zur Finanzierung des
Europa-Kalenders gewährt hatte. In diesen Tagen zahlen wir auch das
für den gleichen Zweck gewährte Darlehen in Höhe von DM
3.000,-- an die FAME-Stiftung zurück.
Der EuropaKalender 1999/2000 brachte erhebliche
Absatzprobleme. Trotz des auf DM 6,-- abgesenkten Abgabepreises konnten
keine größeren Stückzahlen abgesetzt werden. 1999 nahmen
wir aus dem Verkauf
nur gut DM 2.300,-- ein.
Ein neuer Europa-Kalender ist zunächst
nicht geplant; wir müssen intern erst zu einer völlig neuen,
modernen, ansprechenderen Konzeption kommen. Vielleicht haben wir anläßlich
des Berliner November, der am 10. und 11. November in der Tagungsstätte
Harnack-Haus stattfindet, im Rahmen einer "Allgemeinen Strategie-
debatte" Gelegenheit, uns dazu Gedanken zu machen. ...
Europas
Vielfalt der Sprachen und ihre Internationalität auf
dem Prüfstand
Vortrag von Siegfried Piotrowski am 2. Mai 2000
anläßlich der Veranstaltungsfolge
"Europäisches Bürgerrecht auf kulturneutrale
internationale Kommunikation"
zur Europa Woche 2000, Hamburg
Vom linguistischen Standpunkt aus sind
die Sprachen der Welt gleichwertig - vom sozialen Standpunkt aus
läßt sich diese Aussage aber
nicht aufrechterhalten.
Die Erklärung ist ganz einfach: Denken Sie an ein kleines Mädchen, das nur englisch spricht. Es wird hier in Hamburg verstanden, man wird ihm helfen. Ein kleines nur deutschsprachiges Hamburger Mädchen wird sich dagegen in London kaum verständlich machen und Hilfe erwarten können.
Nur ein verschwindend geringer Teil der
auf zwischen 5.000 und 7.000 geschätzten Sprachen auf der Welt
ist als international zu bezeichnen.
Mit der Bezeichnung "international" zeichnet
man eine Sprache aus; für ihre Sprecher ist es von großer Bedeutung
ob und in welchem Umfang eine Sprache als international eingestuft ist.
Davon hängt schließlich auch ab, ob und in welchem Umfang die
Sprecher ihre Sprache in der internationalen Kommunikation anwenden können.
Fast jede Sprachgemeinschaft kommuniziert vielfältig auch international.
Wenn die ei- gene Sprache im "global village" verwendet werden kann,
ist das in vieler Hinsicht einfacher, (kosten)günsti- ger als das
Erlernen und die Verwendung einer fremden Sprache. Jede Sprachgemeinschaft
hat auch ein großes Interesse an einer starken internationalen
Stellung der eigenen Sprache.
Schon deshalb, weil eine nur in einem nationalen
Rahmen Verwendung findende Sprache nicht wie eine als international geltende
in weit höherem Masse von anderen Sprachgemeinschaften als Fremdsprache
erlernt wird.
Augusto Carli, der die europäischen
Sprachen in der internationalen Kommunikation "zwischen Prestige und Stigma"
untersucht hat, führt aus: "Der Bedarf an Lehre und Forschung in einer
Sprache wächst mit ihrer größeren Internationalität.
Daher ist die Stellung einer Sprache als Fach an Schulen und Hochschulen
eben
von ihrer internationalen Stellung abhängig."
Jede Sprachgemeinschaft wünscht sich eine starke internatio- nale
Stellung ihrer Sprache - ergibt sich daraus doch eine starke Stellung in
der Welt.
Die Sprecherzahlen von Sprachen werden recht unterschiedlich ermittelt. Dennoch nehmen bei allen Ermittlungen Chinesisch, Englisch, Hindi -oder Hindi-Urdu- die ersten Plätze ein.
Nach diesen Ermittlungen der Muttersprachsprecher
bewegt sich unsere deutsche Sprache zwischen Rang
6 und 11, Spanisch, Russisch und (in 5
von sechs Erhebungen) Portugiesisch liegen vor Deutsch. Auf den ersten
zwölf Plätzen sind bei fast allen Erhebungen sechs europäische
Sprachen zu finden; nur bei Gage sind es nur fünf, er splittet Chinesisch
weiter in Shanghaiisch und Kantonesisch auf.
Die sechs europäischen Sprachen mit der größten numerischen Stärke sind nach Finkenstaedt/Schröder Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Rus-sisch, Deutsch und Französisch. Für ganz Europa können wir von insgesamt etwa 70 Sprachen ausgehen.
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, definieren wir als international zunächst jegliche Kommunikation, die zwischen Bürgern verschiedener Staaten stattfindet, also auch dann, wenn die Bürger Sprecher einer gleichen Muttersprache sind. Beispiel: Österreicher mit Deutsch-Schweizern, Italiener mit Tessinern, Liechtensteiner mit Deutschen.
Multi- oder auch interlingual wird
eine Kommunikation aber erst dann, wenn sie sich zwischen Sprechern unterschiedlicher
Muttersprachen abspielt, also beispielsweise zwischen Franzosen und Briten,
zwischen Deutschen und Portugiesen etc..
Wir können demgemäß unterscheiden
zwischen international im weiteren Sinne -Kommunikation zwischen
Österreicher und Deutschem in ihrer Muttersprache- und international
im engeren Sinne, also zum Beispiel multilingual zwischen Italiener und
Dänen.
Damit ist aber weder Italienisch oder
Dänisch schon zu einer internationalen Kommunikationssprache geworden.
Wird in der sprachlichen Interaktion Französisch oder Englisch verwendet,
so übernimmt diese Sprache dann die Funktion einer internationalen
Sprache.
Ergänzend ist noch hinzuzufügen,
daß Kommunikation zwischen Bürgern ein und desselben Staates
als intranational, zwischen Angehörigen derselben Sprachgemeinschaft,
also gleicher Muttersprache, intra- lingual genannt wird.
Ich habe beschrieben, daß die Sprache
eine höhere internationale Stellung hat, in der mehr interlinguale
Kommunikationsereignisse stattfinden.
Numerisch starke Sprachen, wie beispielsweise
Hindi-Urdu, Bengali und selbst Chinesisch können nicht unbedingt und
nicht automatisch als internationale Sprache gelten. Man müßte
internationale Bedeutsamkeit und numerische Stärke im Zusammenhang
sehen, die numerische Stärke nicht nur nach der Anzahl der Muttersprach-
sondern auch der Zweit- und Fremdsprachensprecher bestimmen. Genaue Vergleichszahlen
für eine größere Sprachanzahl
habe ich nicht finden können. Es gibt Quellen, nach denen dann 1.4
Mrd. Menschen Englisch sprechen, 220 Millionen Französisch, 280 Mio.
Spanisch.
Die internationale Stellung einer Sprache
ist auch von ihrer Wirtschaftskraft -ökonomischen Stärke-
abhän- gig, richtig muß ich das so ausdrücken: von
der Wirtschaftskraft der Sprecher der betreffenden Sprache.
Der von mir schon zitierte Augusto Carli,
Professor für Soziolinguistik an der Universität Triest, FB Kommunikationswissenschaften,
hat die ökonomische Stärke einer Anzahl von Sprachen wie folgt
ermittelt: Sprecherzahlen nach Grimes, Bruttosozialprodukt für jedes
Land aus Häfs, daraus Bruttosozialprodukt je Einwohner (=Bruttosozialprodukt
des Landes:Einwohnerzahl des Landes). Ergebnis multiplziert mit der Sprecherzahl
der Sprache im betreffenden Land.
Bei der ökonomischen Stärke rangieren einige Sprachen höher als bei ihrer numerischen Stärke. Wir haben das bei Englisch, Japanisch, Deutsch, Russisch, Französisch und Italienisch gesehen; bei Chinesisch, Spanisch und Portugiesisch ist es genau umgekehrt.
These: Größere ökonomische Stärke ist typisch für die Sprachen von wirtschaftlich hochentwickelten Ländern.
Ein Beispiel dazu:
Englisch ist die Sprache der Wirtschaft
und "jeder zweite Firmengigant hat heute seinen Sitz in den USA", triumphierte
im letzten Quartal 1999 das Magazin "BusinessWeek". Von den 1000
größten weltweit operierenden Unternehmen kamen Mitte 1999 aus
den USA 494, aus Europa 164, aus Japan 135. In Europa liegen die Engländer
mit 108 Firmen unangefochten an der Spitze, dann kommen die Franzosen,
die Deutschen steuern 36 zu.
Sehen wir uns die 50 Top - Unternehmen
der Welt an, dann liegt die Deutsche Telekom auf Platz 23, DaimlerChrysler
auf Platz 39.
Bei den 25 Top - Unternehmen in Europa
kommen 10 aus Großbritannien, je 4 aus der Schweiz und Deutschland,
2 aus Italien und je eines aus Finnland, Schweden, den Niederlanden, Spanien
und Frankreich.
Die globalen Konzerne schaffen nahezu
80 % der neuen Stellen in den USA, die Forschungsausgaben der
EU erreichen nur etwa 40 % des US - Niveaus.
Kümmern wir uns aber nicht weiter
um die ökonomische Stärke von Sprachen, sondern sehen wir uns
die wissenschaftliche Kommunikation an. Wissenschaftliche Ergebnisse brauchen
nicht nur eine scientific community (wissenschaftliche Gemeinschaft), sie
bedürfen ebenso einer Öffentlichkeit, die sie begutachtet
und anwendet. Das ist ohne verbale Kommunikation,
also die Sprache, nicht möglich. Wissenschaft ist auf Kooperation
durch Kommunikation geradezu angewiesen. Aber: nur Sprachen, die den Wissenschaftlern
vertraut sind, stellen keine Barrieren in der Kommunikation auf. Ich habe
ganz bewußt von Sprachen gesprochen, wir stellen nämlich eine
Tendenz zur sprachlichen Monokultur, zur Einsprachigkeit, fest.
Laponce hat 1987 eine umfangreiche Untersuchung
durchgeführt: Ausgezählt wurden die Anzahl von Artikeln
je Sprache, die im Jahre 1980 in den US-amerikanischen
Chemical Abstracts durch den abstract service für Chemie ausgewertet
wurden. Englisch nimmt den ersten Rang ein. Die Abstände zu
den nächsten Sprachplätzen sind enorm; so erschienen 16mal
mehr Publikationen in Englisch als in Deutsch, 32mal mehr
als in Französisch.
Seit Ende der 80er Jahre beschäftigt
sich eine Gruppe eu-ropäischer Linguisten mit Fragen der europäischen
Sprachenpolitik. Das Problem betrifft die ungenügenden Fremsprachenkenntnisse
der Europäer. Die Kenntnisse sind zum Teil so mangelhaft, daß
man sehr ernsthaft von "Sprachbarrieren" sprechen muß.
Finkenstaedt/Schröder haben 1988
anläßlich einer Untersuchung über Fremdsprachenkenntnisse
in 10 europäischen Ländern festgestellt, daß nur Niederländer,
Luxemburger, Dänen, zum Teil auch Belgier -hier eher die Flamen
als die Wallonen- über zufriedenstellende Kenntnisse in mindestens
einer Fremdsprache verfügen.
Deutsche, Engländer, Franzosen, Spanier,
Italiener -Sprecher von "großen" Nationalsprachen- und
Iren verfügen zum Teil über keinerlei Fremdsprachenkenntnisse.
Die Sprecher der "kleinen" Nationalsprachen
finden eher dazu, eine oder sogar mehrere Fremdsprachen zu erlernen.
Das alles ist wenig erfreulich. Einerseits
eine starke Tendenz zu sprachlicher Monokultur, andererseits, vielleicht
als natürliche Konsequenz (?), die Zunahme der Ignoranz der Sprachen
der Nachbarn.
"Das Erlernen einer Sprache", sagt Augusto
Carli, "ist ein langwieriger Prozeß ohne Ende. Keine Sprache, weder
die Muttersprache noch eine Fremdsprache, kann man je auslernen." Er schlägt,
wie auch Posner, die symmetrische Verwendung von Sprache vor. Professor
Dr. Roland Posner, Arbeitsstelle für Semiotik an der
TU Berlin, der sich seit mehr als 15 Jahren
mit einer Sprachpolitik für Europa beschäftigt und dazu eine
Vielzahl Veröffentlichungen herausgegeben hat, nennt das "den polyglotten
Dialog". In europa dokumentaro im März 1999 habe ich seine "Vorschläge
für die künftige Sprachpraxis im europäischen Kulturverbund"
veröffentlicht.
Was bedeutet symmetrische Verwendung von Sprache, polyglotter Dialog ?:
Beide -oder auch mehr als zwei- Kommunikatoren verwenden ihre eigene Muttersprache, wenn davon ausgegangen werden kann, daß beim Gesprächspartner ein angemessenes passives Verständnis erreicht wird. So spricht ein Deutsch-Muttersprachler mit einem Niederländisch-sprachigen deutsch und dieser antwortet auf Niederländisch. Nur in ihrer Muttersprache können die meisten Menschen ihre Gedanken am besten und in ausgereifter Form artikulieren.
Wie sieht die "Sprachpolitik" in Europa
nun tatsächlich aus ?
Acht grundlegende Haltungen, die die
Sprachpolitik "bestimmen", zeige ich nachstehend aus
Die Zukunft der Sprache in Europa
aus 'Telepolis'
"Structures of Nationalism"
auf:
Es sind heute nicht mehr (Landes)Grenzen,
sondern Sprachen die Barrieren der globalen Integration und Kommunikation.
Läßt sich Sprachenvielfalt erhalten? Reichen für "Vielfalt"
einige "große" europäische Sprachen aus ? Welche ? Was soll
dann mit den "kleinen" geschehen ? Welche europäischen Sprachen
sind denn nun international ?
Zunächst einmal:
Europa muß vielsprachig bleiben.
Die Monokultur des Englischen muß eingeschränkt werden. Von
der EU geförderte wissenschaftliche Projekte sollten in vielsprachige
Veröffentlichungen münden, nicht in erster
Linie in englische. Die Unterstützung
wissenschaftlicher Medien sollte daran gebunden werden, daß jeder
Artikel mindestens in eine andere europäische Sprache übersetzt
wird. Einsprachige Konferenzen sollten von der EU nicht gefördert
werden.
Zeitungen und Zeitschriften sollten vielsprachig,
mindestens dreisprachig, sein. Niemand sollte eine Anstellung nur deshalb
verweigert werden dürfen, weil er kein Englisch spricht. Niemand,
der zum Beispiel vier europäische Sprachen wie Polnisch, Russisch,
Französisch und Deutsch spricht, sollte eine Anstellung in London
verweigert werden, nur weil er des Englischen nicht mächtig ist.
Keine der europäischen Sprachen darf
dem Untergang anheimgegeben werden oder "nur" zu regionaler Bedeutungslosigkeit
verkommen.
In Pl@net 2/97 plädierte Gundolf Freyermuth für eine "rückhaltlose" Übernahme des Englischen, weil sie "Verkehrssprache des Internet" sei und die kosmopolitische Struktur des Cyberspace ermöglicht. Er führt sinngemäß aus:
"Weil Deutsch oder eine andere Sprache faktisch keine Zukunft als Weltsprache habe, schade man sich national und individuell in Zeiten globaler Konkurrenz, wenn man sich in ein sprachliches Territorium, in ein Sprachreservat einschließe."
Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Die Fakten sind eindeutig, der Gewinner klar. David Crystal hat in der Cambridge Enzyklopädie der Sprache festgestellt: "Englisch dient in über 60 Ländern als offizielle oder halboffizielle Sprache und in weiteren 20 hat es wichtige Funktionen. Auf allen sechs Kontinenten ist es gut eingeführt, sofern es nicht die vorherrschende Stellung einnimmt. Englisch ist die Sprache der meisten Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, der Flughäfen, der Flugsicherung, internationaler Konferenzen und akademischer Tagungen, der Wissenschaft, Technik, Medizin, Diplomatie, des Sports, internationaler Wettbewerbe, der Werbung, der Popmusik und so fort. Über zwei Drittel der Wissenschaftler schreiben auf Englisch, über drei Viertel aller Briefe und Postsendungen sind es ebenso und schließlich sind über 80 % aller Daten in Datenverarbeitungssystemen auf Englisch gespeichert."
In einem Bericht in Telepolis hieß es 1997: "Solange es keine perfekten oder zumindest sehr guten, jederzeit verfügbaren und ohne jede Behinderung mit sich zu führenden automatischen Übersetzungssysteme oder gar in das Gehirn implantierbare Sprachchips gibt, wird zumindest in nächster Zukunft Englisch die wirkliche Weltsprache sein, die alle Menschen erlernen müssen, wenn sie an der Informationsgesellschaft ohne Einschränkungen und mit ihren Chancen teilhaben wollen."
Französisch als Sprache des Adels und der Diplomatie war die Folge des mächtigen Frankreich, das früher als andere Staaten zu einem nationalen Gebilde mit einer führenden Sprache wurde. Französisch hat sich dennoch nicht zu einer "Weltsprache" entwickelt. Es fehlte dem Französischen an einem Moment, das die englische Sprache inzwischen auszeichnet. Englisch wurde während des Kolonialismus vielen Völkern aufgezwungen. Den durchschlagenden Erfolg verdankt die englische Sprache ihrer Verbindung mit einer technowissenschaftlichen und zugleich ökonomisch liberalen Kultur, die sich in der Industriegesellschaft allmählich und in der Informationsgesellschaft mit großer Kraft bis in die Alltagswelt durchsetzte. Als wissenschaftliche und technische Sprache hat sich Englisch in die Grundlagen der Produktivität der sogenannten Wissensgesellschaft eingeschrieben.
Ich komme zum Schluß meiner kurzen Einführung in die Veranstaltungsfolge "Europäisches Bürgerrecht auf kulturneutrale internationale Kommunikation". Meine Aufgabe habe ich darin gesehen, aufzuzeigen, wie es um Sprachen weltweit, insbesondere aber in Europa bestellt ist.
Europa versucht, seinen "Weg in die Informationsgesellschaft"
mit der Unterstützung der europäischen Sprachen zu beschreiten,
um die Vielfalt zu erhalten. Die Hoffnung scheint zu sein, geeignete und
kostengünstige Mittel zur "Bewältigung" der Mehrsprachigkeit
zu entwickeln. Mehrsprachigkeit sagt sicher
aber nichts weiter, als daß einige
wenige große regionale Sprachen geschützt werden. Von den jetzt
noch
etwa 45 in der gegenwärtigen EU gesprochenen
Sprachen werden nur die "wichtigsten" übrigbleiben, wäh-
rend man das weitere Verschwinden von regionalen Sprachen in Kauf nehmen
wird.
Mit ihrer Sprache bewahren sich Menschen
ein Stück Verschiedenartigkeit; ohne diese unterschiedlichen sprachlichen
Gemeinschaften, die auch eine unterschiedliche Kultur tragen, ginge diese
schnell verloren.
Was wir erhalten wollen - wollen wir es wirklich noch ? -, ist ein "Europa der Vaterländer". Ist ein vielsprachi- ges Europa, auch wenn seine Sprachen überwiegend nicht international sein werden. Ist ein Europa, mit gewachsenen Kulturen. Es wird uns eine Monowährung übergestülpt. Finden wir uns nicht damit ab, daß uns auch eine Monokultur angetan wird.
Alle europäische Bürger müssen
sich als Unionsbürger miteinander verständigen können. Die
Fragen ob
dazu mehrere Fremdsprachen zu erlernen
sind oder es andere Möglichkeiten gibt, werden die beiden in
dieser Veranstaltungsfolge noch anstehenden Vorträge "Neue Schwierigkeiten
bei den Sprachen" und "Brauchen wir ein europäisches Bürgerrecht
auf kulturneutrale internationale Kommunikation" behandeln.
"Die Menschheit ist nicht aus Einzelwesen
gemacht, sondern aus der Kommunikation zwischen ihnen.
Niemand sind wir gegeben, nicht einmal
uns selbst, es sei denn in einem Kommunikationsnetz mit den
anderen:
Wir sind in Kommunikation gehüllt.
Die Auswirkungen der Globalisierung auf
die Sprache will ein auf fünf Jahre angelegtes Forschungsprojekt der
Universität von Cardiff untersuchen. Dabei geht es sowohl um Sprachen
wie Finnisch wie auch um Minderheitensprachen wie Walisisch oder Tamilisch.
Die Verbreitung der finnischen Sprache beispielsweise reicht nicht weiter
als bis zur Staatsgrenze. In Cardiff geht man allerdings davon aus, daß
die Globalisierung Englisch nicht einfach zur Weltsprache auf Kosten der
kleinen Sprachen machen wird. So würden beispielsweise große
amerikanische Konzerne verstärkt ihre Produkte in den jeweiligen Landessprachen
vermarkten, sagt Projektleiter Theo van Leeuwen.
(Quelle: DUZ, Ausgabe
20 vom 20. Oktober 2000)
"Kybernetik
steckt den Osten an - Wieners Ideen in Osteuropa und der DDR"
Am 10. und 11. November 2000 fand im Berliner
Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft unter diesem Titel ein Workshop
statt. Die Organisatoren Frank Dittmann und Siegfried Piotrowski hatten
sich damit einem Thema zugewandt, das in weiteren Veranstaltungen vertieft
werden soll.
Bekanntlich gilt das Erscheinen des Buches
"Cybernetics" von Norbert Wiener 1948 als Gründungsakt der Kybernetik
in den USA. Obwohl die neue Wissenschaft zunächst in der Sowjetunion
als "bürgerlich" abgelehnt wurde, faßte sie allmählich
auch im Osten Fuß. In der DDR war dies vor allem dem Wirken des Philosophen
Georg Klaus zu verdanken. Der Ablehnung in den 1950er Jahren folgte eine
Phase der überschwenglichen Begeisterung für die Kybernetik,
deren Begriffe und Denkmodelle in fast allen Natur- und Geisteswissen-
schaften euphorisch aufgesogen wurden. Als aber die ideologiefreie Betrachtung
von gesellschaftlichen Informations- und Kommunikationsprozessen die "führende
Rolle der SED" in Frage zu stellen schien, folgte 1969 eine harsche anti-kybernetische
Wende.
Die 20 Teilnehmer am Berliner Workshop
hatten sich die Aufgabe gestellt, auf diese Ereignisse zurückzublicken,
diskutierten aber auch die heutige Bedeutung der Kybernetik. Im Mittelpunkt
standen die Vorträge von 11 Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR. Das
Spektrum der Ausführungen reichte dabei von der Regelungstechnik über
die Anwendung kybernetischer Modelle in der Physik, Biologie, Ökonomie
und den Erziehungswissenschaften bis hin zur philosophischen Auseinandersetzung
mit Kategorien wie Information oder Entwicklungsdynamik in Systemen.
Neben renommierten ostdeutschen Wissenschaftlern,
die zum Teil auch nach der Wiedervereinigung im akade-mischen Bereich tätig
waren, berichteten interessierte Laien über ihre persönlichen
Erlebnisse sowie die Kraft, die sie aus der Beschäftigung mit der
Kybernetik bezogen hatten. Es ist geplant, die Vorträge in einem Sammelband
zu veröffentlichen.
Gedanken
über die deutsche Orthographiereform und ihre Kritiker
von Otto Back
Vorwort für Esperantisten
Was hat die deutsche Orthographiereform mit Esperanto zu tun? Vordergründig nichts: Esperanto ist eine ganze Sprache mit fast allem Drum und Dran. Die Reform ist eine bescheidene Retusche am sichtbaren Erscheinungsbild einer Sprache. Esperanto ist zu einer fest gefügten Institution geworden, mit innerer Dyna- mik, aber auch Argwohn gegenüber allem, was sein Fundament antasten könnte. Und Esperanto wacht erzkonservativ über die Orthographie seiner Anfänge. Die liegen in den Jahren, als auch die deutsche Orthographie von 1901 vorbereitet wurde - die jetzt einer neuen Platz machen soll: Altersgenossen. Tat- sächlich, mit der nunmehrigen deutschen Schreibreform hat Esperanto nichts zu schaffen.
Aber haben nicht andrerseits das Reformieren einer Rechtschreibung und das Lancieren einer erfundenen Sprache dieses Gemeinsame, dass das eine wie das andere Akte von Sprachplanung sind? Und damit auch einer Gegnerschaft gleichen Zungenschlages gegenüberstehen: denen mit dem Gerede vom "natürlich Gewachsenen", das man vor Revoluzzern und Sprachvergewaltigern schützen müsse. Das Zorngezeter und Hohnlachen über die Orthographiereform sollte den Esperantisten bekannt in den Ohren klingen - haben sie nicht recht oft Ähnliches zu hören bekommen? (Und diese Katzenmusik wäre nur ein schwacher Vorge- schmack des Hexensabbats, der losbräche, würde ein ernstlicher Vorstoß unternommen, Esperanto etwa zur Europasprache zu machen.)
Nein, gemeinsame Feinde stiften noch lange keine Bundesgenossenschaft. Aber der Boden für ein besseres Verständnis (wenn schon nicht Sympathie) kann durch solches parallele Erleben bereitet werden.
1. Jede gesellschaftliche Konvention könnte besser sein, als sie ist: so auch ein Rechtschreibungssystem. Deshalb waren und sind fast in jeder Sprach-gemeinschaft orthographische Regelungen Gegenstand von Reformüberlegungen. Solche haben in dem zu Ende gehenden Jahrhundert in der Mehrzahl der europäischen Sprachen zu orthographischen Neuerungen verschiedenen Ausmaßes geführt. (Wo an der Rechtschreibung nichts verändert wurde, lag das nicht allemal an ihrer Vortrefflichkeit - auch ihre Unreformierbarkeit oder gesellschaftliche Unbeweglichkeit können die Ursache sein.)
2. Orthographie soll Lesenden das Lesen und Schreibenden das Schreiben möglichst leicht machen. Beider Gruppen Interessen widerstreiten einander. Deshalb kann eine Orthographie immer nur ein System gegenseitiger Zugeständnisse sein und nach keiner der beiden Seiten hin Idealvorstellungen verwirklichen (die für das Ganze der Sprachgemeinschaft nicht ideal wären).
3.Zwar wird mehr gelesen als geschrieben,
doch soziale Privilegierung oder aber Benachteiligung sind weit mehr an
das Schreiben geknüpft, namentlich auch an das Beherrschen der Rechtschreibung.
Je komplexer
ihre Regelung, je mehr an abstrakten Überlegungen,
an Memorieren von Sonderfällen, an zusätzlichem Wis- sen und
an ständigem Umgang mit schriftlichem Textmaterial dafür erforderlich
ist, desto stärker privilegiert eine Orthographie die sozial besser
Gestellten. Deshalb haben die meisten Orthographiereformen in diversen
Sprachgemeinschaften zumindest auch Erhöhung der Chancengleichheit
zum Ziel. Andererseits kann freilich keine Orthographie so leicht gemacht
werden, dass sie allgemeine Fehlerfreiheit garantieren würde.
4. Jede Orthographiereform bringt für manche Gruppen in der sprach- und schriftbenützenden Bevölkerung während einer Übergangszeit belastende Umstellungsschwierigkeiten, die nicht zu verharmlosen sind. Aber vermeiden könnte man sie nur um den Preis einer immer währenden Unantastbarkeit der Schreibung. Einen Immobilismus dieser Art hielte man wohl in anderen Bereichen für ein größeres Übel als eine Zeitspanne mäßiger Unzukömmlichkeit durch das Sich-umstellen-Müssen.
5. Gelegentlich geäußerte Empfehlungen, anstatt der Rechtschreibregeln die Didaktik ihrer Vermittlung zu ändern, gehen wohl am Problem vorbei: Auch verbesserte Lehrverfahren (so willkommen sie sind), angewendet auf unnötig komplizierte Schreibregelungen, können nichts daran ändern, dass Zeit und Mühe auf formale Spitzfindigkeiten von zweifelhaftem Bildungsertrag aufgewendet werden, während wesentliche Unterrichtsziele darüber zu kurz kommen.
6. Unter den Hindernissen, worauf Bestrebungen zur Veränderung von Orthographieregelungen in einer vollalphabetisierten Gesellschaft stoßen, nimmt der irrationale menschliche Faktor eine besondere Stellung ein. Wie jede Veränderung gewohnter Bilder und automatisierter Handlungsabläufe wirken auch neue Schriftbilder fürs Erste befremdlich. Darüber hinaus nehmen viele Schriftbenutzer die ihnen seit der Schulzeit vertrauten Schreibweisen für etwas Naturgegebenes. Das hindert sie daran, abweichende neue Schreibweisen zu akzeptieren.
7. Die noch geltende Regelung der deutschen
Rechtschreibung (an der viele, ohne sie genau zu kennen, festhalten wollen)
beruht
a) auf Beschlüssen der Berliner Konferenz
von 1901, modifiziert und ergänzt
b) 1915 durch die Verschmelzung des allgemeinen
Rechtschreib-Dudens mit dem Buchdrucker-Duden sowie
c) in weiterer Folge durch Einzelregelungen
seitens der Duden-Redaktion.
8. Unter den Inhalten des bisherigen orthographischen Regelwerks sind - im Hinblick auf die Reform - besonders zu erwähnen: schwer nachvollziehbare Festlegungen für Groß- und Kleinschreibung; das Gleiche in Bezug auf Getrennt- und Zusammenschreibung; über-komplizierte Durchregulierung von Kommasetzung und Worttrennung; sowie übrigens auch: im Bereich der Fremdwortorthographie größtenteils ein extremes Haften an Originalschreibungen (was beträchtliche Schwierigkeiten verursacht), aber begleitet von einer stecken gebliebenen Eindeutschung, die sich auf c zu k bzw. z beschränkt (was zu massenhaften Hybridschreibweisen führt) - vgl. 25.
9. Seit dem Zustandekommen der Ergebnisse von 1901 bestand in Fachkreisen kein Zweifel darüber, dass weitere Verbesserungen erforderlich seien. Dieses Ziel, schon 1902 von Konrad Duden genannt, stand durch das ganze Jahrhundert hindurch den mit der Materie Vertrauten vor Augen; ein dichtes Aufeinanderfolgen vieler Reformvorschläge bezeugt es. Auch die quasi-amtliche Anerkennung der Autorität des Duden-Wörterbuches in der Bundesrepublik 1955 ist als Provisorium in Erwartung einer nicht fernen Reform zu begreifen (und zu rechtfertigen). Spektakulärstes und meistvertretenes Anliegen der Reformwilligen war die Substantiv- kleinschreibung, die sich aber zuletzt doch nicht durchsetzen konnte. Dennoch steht die lang vorbereitete Orthographiereform von 1995 in der genannten Tradition der Verbesserungsbestrebungen als deren (wenn auch nur unvollkommenes) Ergebnis.
10. Die 1995 vereinbarte Reform bringt weit weniger, als engagierte Streiter gewollt hatten. Unter dem Druck gesellschaftlicher Zwänge konnte viel Wünschenswertes entweder erst gar nicht in das Reformprogramm gelangen oder musste noch in späteren Phasen daraus entfernt werden. Trotzdem enthält die Reform genug an Verbesserungen, um die Last der Umstellung immer noch zu rechtfertigen.
11.Einige Leitlinien der Reform:
- Weniger Ausnahme- und Sonderregelungen
(z. B. Verdoppelung von s unter denselben Bedingungen wie bei anderen Konsonantenbuchstaben.
also Fass wie Fall; die einzige h-Schreibung nach au wird beseitigt, daher
rau; Silbentrennung von st wie bei s-p, s-k, f-t, l-t....).
- In den Bereichen Groß-/Kleinschreibung
und Getrennt-/ Zusammenschreibung anstatt semantischer Kriterien solche
der grammatischen Form und der Kollokation, die leichter objektivierbar
sind.
- Verzicht auf manche semantisch motivierte
Schreibungsunterschiede, die die Schreibenden belasten, ohne den Lesenden
nennenswerten Nutzen zu bringen (z. B. die Erste - sowohl gezählt
als rangmäßig bewertet, aufwärts gehen -"hinaufsteigen"
wie "besser werden", vgl. 24).
- Einführung von Zonen der Wahlfreiheit
(besonders innerhalb der Bereiche Fremdwortschreibung und Kommasetzung).
- In einigen Fällen neue Schreibweisen
aufgrund synchronischer Assoziierbarkeit (z. B. überschwänglich
wie Überschwang, Quäntchen wie Quantum).
12. Ein paar Detailfälle aus der großen Zahl der positiven Auswirkungen der Reform: ß wird ein verlässlicher Anzeiger für vorhergehenden Langvokal. Der sachlich nicht gerechtfertigte Wechsel von ss und ß in zusammengehörigen Formen wie ihr esset/ihr eßt, wässerig/wäßrig entfällt. Fremdwörter wie Miss, Stewardess, Business, Fairness werden nicht mehr durch ß entstellt. In Bezug auf und mit Bezug auf werden orthographisch gleich behandelt. Die Kleinschreibung der einzelne ("das Individuum") - eigentlich schon im Sinne der bisherigen Orthographie eine fehlerhafte Festlegung (einzeln ist hier ja Adjektiv, vgl. das Einzelne das Detail«!) wird zu der Einzelne: Also erst die Reform korrigiert bisheriges der einzelne und der Staat.
13. Schwachstellen der Reform liegen namentlich in Bereichen, die so komplex sind, dass sie sich überhaupt einer befriedigenden Regelung entziehen (und um die es in der alten Rechtschreibung durchaus schlechter bestellt war); sodann in Halbheiten, die im gesellschaftlichen Umfeld der Reformvorbereitung und -ausarbeitung ihren Ursprung haben.
Im Besonderen sind unzulänglich:
- einzelne Detailregelungen für Getrennt-
und Zusammenschreibung (wogegen das Grundkonzept der Regelung dieses Bereiches
sehr wohl einen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Zustand bedeutet);
- im Bereich der Fremdwortschreibung schwer
nachvollziehbare Wege der Variantenführung, z. B. Vorzugsformen Orthographie,
Stenografie, Nebenformen Orthografie, Stenographie:
- allzu summarische Fassung der Worttrennungsregeln
für Fremdwörter;
- Fälle von Unkoordiniertheit der
dem Regeltext angeschlossenen Wortliste mit diesem.
14. Die Mängel des Reformwerkes sind nicht so schwer wiegend, dass seine Qualität als Ganzes dadurch in Frage gestellt wäre. In fast allen Fällen ist die neue Regelung plausibler als die alte. Natürlich sind die Mängel korrigierbar. Manches beruht auf Unzulänglichkeiten der Textredigierung. Anderes ist als Anlauf- und Koordinationsschwierigkeit zu begreifen.
15. Die Orthographiereform erfordert differenzierte Bewertung: Mangelhaftes ist zu beseitigen bzw. zu berichtigen; Vorteilhaftes ist anzunehmen. Es widerspricht den Prinzipien konstruktiver Kritik, wegen einiger Regelungen, die man für unzulänglich hält, die gesamte Reform für unbrauchbar zu erklären. Wer so urteilt, setzt sich damit implizit für die Beibehaltung und möglicherweise die Perpetuierung auch solcher alter Regelungen ein, über deren Unhaltbarkeit kein vernünftiger Zweifel bestehen kann. Auch manche Wissenschaftler, deren kompetente Detailkritik an Regelungen der Reform ernst zu nehmen ist, begehen den Fehler, aus solcher Missbilligung von Einzelheiten vorschnell den Schluss einer Totalverurteilung zu ziehen.
16. Die Orthographiereform wird von vielen Gegnern angegriffen; aber sie sind untereinander uneins. Sie vertreten gegensätzliche Positionen, so etwa: "Nichts reformieren!" vs. "Mehr reformieren!" oder "Rechtschreibung hat sich ohne Reglementierung frei zu entwickeln!" vs. "Die Reform bedarf der Verankerung auf höchster gesetzgeberischer Ebene!". Für die einen ist die Reform so dürftig, dass sie den Aufwand nicht lohnt; andere meinen massive Eingriffe in den Wortschatz zu erkennen. Die reformierte ss/ß-Schreibung findet auf mancher Seite Verständnis, anderswo stößt gerade auch sie auf Ablehnung.
17. Ein Großteil der Reformkritik,
wie sie sich beispielsweise in öffentlichen Erklärungen, Medienbeiträgen
und Leserbriefen äußert, ist gekennzeichnet durch
- Fehlen von Bereitschaft zu aufgeschlossener
Kenntnisnahme und differenzierter Sicht; emotionale Pauschalablehnung;
- Unwissenheit bezüglich der Grundtatsachen
von Orthographie im Allgemeinen und deutscher Orthographie im Besonderen,
namentlich auch mancher Einzelheiten der bisherigen Rechtschreibung;
- Uninformiertheit bezüglich der
kritisierten Reform (und in diesem Zusammenhang mitunter ein nonchalanter
Umgang mit der Erhebung und der Wiedergabe von Fakten):
- rüder Ton (und das nicht nur aus
Kreisen von Leserbriefschreibern und Literaten, sondern auch von Wissenschaftlern
und öffentlichen Amtsträgern). Auffallend ist es, wie wenig manchen
Reformgegnern aus Kreisen der Wissenschaft daran zu liegen scheint, sich
von kompromittierenden Äusserungen ignoranter Vulgärkritik zu
distanzieren.
18. Häufige Motive, gegen Veränderung
der geltenden Orthographie eingestellt zu sein:
- wirtschaftliche Belastung (ein respektables
Motiv);
- Belastung durch Umlernen-Müssen;
- Gleichsetzung von Orthographie mit Sprache
als solcher, wodurch der geltenden Orthographie die Weihe der
Unantastbarkeit zugeschrieben wird (vgl. 26).
- Sorge um einen Prestigevorsprung, den
die Beherrschung der bisherigen, schwierigeren Orthographie verleiht -
würde das Rechtschreiben leichter, dann könnten womöglich
sozial Benachteiligte (oder "Minderbegabte") einen solchen Vorsprung einholen
(ein unanständiges Motiv).
Die bisherige Orthographie, von den wenigsten in ihren Detailregelungen gekannt und befolgt, von allen Sachkundigen als überflüssig kompliziert abgelehnt, kann bei all dem zum Objekt später, unvorhergesehener und unverdienter Idealisierung werden.
19. Zu verlangen, dass die Orthographie nicht "von oben" reguliert werde, sondern ihrer eigenen Entwicklung überlassen bleibe - diese Forderung (sofern sie überhaupt ernst gemeint ist) beruht auf einer Art optischer Täuschung: Gehen orthographische Änderungen nicht von einer identifizierbaren Instanz (wie Behörden, Akademien, Verlage) aus, dann haben sie in ihrem Wildwuchs eben anonym bleibende Individuen samt deren Nachahmern als Urheber.
20. Nicht selten ereifern sich Reformgegner über eine Schreibweise der Reform, die für neu gehalten wird, aber in Wirklichkeit längst schon der alten Orthographie angehörte. (Z. B. Majonäse, seit 1941 zulässig, durch die Reform lediglich zur Vorzugsform gemacht.) Öfter noch werden der neuen Orthographie Schreibweisen unterstellt, die entweder einer überholten Phase der Reformentwürfe angehören (z. B. Alfabet) oder überhaupt nie in Erwägung gezogen wurden (z. B. Füsik). Hierin tun sich die Medien besonders hervor. Ignoranz, Persiflage und Täuschungsabsicht sind dabei schwer voneinander abzugrenzen.
21. Schriftstellerisches Ansehen ist an sich noch keine hinlängliche Qualifikation für das Beurteilen orthographischer Probleme und Zusammenhänge. "Schreiben" im Sinne von künstlerischer Textschöpfung und "schreiben" im Sinne von Verkodung sprachlicher Strukturelemente mittels graphischer Zeichen sind zweierlei. Wenn in der Geschichte irgendwo und irgendwann sprachkünstlerische Persönlichkeiten auch in der Orthographieentwicklung eine planend-gestaltende Rolle spielten, handelte es sich um eher seltene Phänomene von Doppelbegabung und Doppelinteresse. Wer bisher keinen Anlass fand, sich um die geltenden Regeln zu sorgen, sollte es auch weiter so halten. Die (leider nur) geringfügigen Änderungen, welche die Reform verursacht, rechtfertigen es nicht, orthographische Anpassungen literarischer Texte zu untersagen. Das wirkt kleinlich und schikanös. Auch die Werke der Klassiker werden nicht in deren Originalschreibung gelesen.
22. Es fällt auf, dass Kritik an der Reform vielfach von Personen kommt, die in Bezug auf die bisherigen orthographischen Regelungen keinerlei kritische Aufmerksamkeit erkennen ließen. Erst die angekündigten Neuschreibungen scheinen bei ihnen diese Art von Sensibilität geweckt zu haben, wobei aber seltsamerweise wiederum die alten Schreibungen aus ihrer Kritik ausgespart bleiben. Dabei weist die bisherige Orthographie genügend Mängel auf, an denen kompetente Betrachter nicht achtlos vorübergehen könnten. Die genannte Art von Kritik, die sich nur gegen die neuen und nicht auch gegen die alten Schreibungen richtet, kann nicht ernst genommen werden, sie disqualifiziert sich selbst.
23. Dem deutschen Sprachschatz, sagen manche, gehe ein Wort verloren, wenn es aufgrund der Reform nicht mehr zusammen-, sondern getrennt geschrieben werde, z. B. verloren gehen für bisheriges verlorengehen. Verhielte es sich so, dann hätten unzählige zwei- und dreiwortige Ausdrücke, die immer schon getrennt geschrieben werden, keinen Platz im Wortschatz, wie z. B. Wache halten, Wert legen, getrennt schreiben.
24. Einbuße an Deutlichkeit befürchten manche, wenn bisherige semantisch motivierte Verschiedenschrei- bungen wie stehen bleiben/stehenbleiben, abwärts gehen/abwärtsgehen entfallen. Als Differenzierungsmittel wirken solche Verschiedenschreibungen nur begrenzt, denn bei getrennter Stellung kommt Zusammen- schreibung naturgemäß nicht in Frage: bleibt (hier) stehen, geht (dann) abwärts, ohne dass Missverständnisse auftreten; der Kontext klärt das Gemeinte. Und das er auch bei Kontaktstellung: wenn sie hier stehenbleibt; es ist abwärts gegangen.
25. Gegen eindeutschende Fremdwortschreibungen wird eingewendet, dass sie der allgemeinen Tendenz zur Internationalisierung (besser gesagt: Anglisierung) zuwiderlaufen. Beispiele: Exposee, Shortstory essenziell, Panter, Saxofon, Katarr. Neben den meisten dieser neuen Schreibungen bleiben die bisherigen in Geltung (was allerdings einige Unsicherheit schafft, vgl. 13). Dank dem allgemeinen Ersatz von ß durch ss nach kurzem Vokal werden etliche Fremdwörter näher an ihre Originalschreibung herangeführt (z.B. Fairneß zu Fairness, Kongreß zu Kongress). Wer die nunmehrigen verhältnismäßig bescheidenen orthographischen Fremdwortadaptionen ablehnt, müsste konsequenterweise im Interesse größerer "lnternationalität" auch die Rücknahme der schon weit früher, im Vorfeld bzw. im Gefolge der Berliner Konferenz von 1901 erfolgten Schreibungseindeutschungen verlangen und z. B. Accent, Scene, Cylinder, Ceremonie, Elephant zurückfordern. Wer an Hybridschreibungen wie Orthografie, Fotosynthese Anstoß nimmt, hätte niemals Schreibungen wie Zypresse, Kampagne, Kognak (für Cypresse, Campagne, Cognac) dulden dürfen.
26. Rechtschreibung ist nicht dasselbe wie Sprache, wiewohl beides natürlich miteinander zu tun hat. So komplex das Verhältnis zwischen lautlicher und schriftlicher Existenzform von Sprache auch ist - es wäre abwegig, dermaßen bescheidene Veränderungen, wie diese Reform sie bringt, als Veränderungen der "Sprache" anzusehen. Daher ist die in der Debatte vorkommende saloppe Bezeichnung "Sprachreform" unzutreffend und irreführend.
27. Wer über das geringe Ausmaß an Verbesserungen, welche die Reform bringt, enttäuscht ist und meint, dass sie den Aufwand nicht lohnt, sollte bedenken: Wenn schon das wenige auf so viel Widerstand stößt, zeigt dies, dass unter den gegebenen Umstän-den mehr an Reform nicht zu erreichen war. Und: Die Reform wegen ihrer Unzulänglichkeit abzulehnen bedeutet nicht, den Weg für gründlichere Verbesserungen frei zu machen - vielmehr würde damit das Geschäft derjenigen besorgt, welche die deutsche Rechtschreibung auf unab- sehbare Dauer zur Unveränderlichkeit verurteilen wollen.
28. Eine Orhographiereform zählt zu
den Dingen,
- die lästig und nötig sind;
- die man aufschieben, aber nicht unterlassen
darf;
- die weniger den Jetzigen als den Künftigen
zuliebe geschehen.
(Quelle: Otto Back, Gedanken über die Orthographiereform, in: Soziokulturelle Aspekte von Plansprachen, Beiträge der 7. Jahrestagung der Gesellschaft für Interlinguistik e. V., 7.-9. Novem-ber 1997 in Berlin, Gesellschaft für Interlinguistik e.V. (GIL), Berlin 1998)
Literatur zum Gegenstand
AUGST, Gerhard / BLÜML, Karl / NERIUS, Dieter / SITTA, Horst (Hg.): Zur Neuregelung der deutschen Orthographie. Begründung und Kritik. Tübingen: Niemeyer, 1997. (=Reihe Germanistische Linguistik, 179.) VI + 495 S.
Duden. Die neue amtliche
Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis nach der zwischen-staatlichen
Absichtserklärung vom
1. Juli 1996. Mannheim:
Duden, 1997. (=Duden Taschenbücher, 26.) 316 S.
EROMS, Hans-Werner / MUNSKE, Horst Haider (Hg.): Die Rechtschreibreform. Pro und Kontra. Berlin: Erich Schmidt, 1997.218S.
GALLMANN, Peter / SITTA Horst: Duden. Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Mannheim: Duden, 1M6. (=Duden Taschenbücher, 26.) 316 S.
HÜBNER, Klaus: Jahrelanger Kleinkrieg: Die Orthographiereform - ein Zwischenbericht. In: Fachdienst Germanistik. Sprache und Literatur in der Kritik deutschsprachiger Zeitungen. 16, Nr. 1, Januar 1998 S. 1-6.
ICKLER, Theodor: Die sogenannte Rechtschreibreform. Ein Schildbürgerstreich. St. Goar: Leibniz, 1997. 206 S.
ICKLER, Theodor: Getrennt- und Zusammenschreibung. Ein Kommentar zu § 34 und § 36 der Neuregelung. In Muttersprache, 3/1997, S 257-279.
NERIUS, Dieter, & 91.: Deutsche Orthographie. Leipzig: Bibliographi-sches Institut, 1987. 330 S.
SCHAEDER, Burkhard: Die Getrennt- und Zusammenschreibung (GZS) im amtlichen Regelwerk aus der Sicht eines ihrer Kritiker: Theodor Icklers Kommentar zu § 34 und § 36 der Neuregelung«. In: Muttersprache, 411997, S. 354-367. SCHEURINGER, Hermann: Geschichte der deutschen Rechtschreibung. Wien: Edition Praesens, 1996. (=Schriften zur diachronischen Sprachwissenschaft, 4.) 142 S.
WURZEL, Wolfgang Ullrich:
Konrad Duden. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1985. 12D S.
Ergänzungen
und Hervorhebungen zum Artikel von Otto Back
Helmut Welger
Für Leser von europa dokumentaro, speziell
für Esperantisten, möchte ich einige Gesichtspunkte aus dem Artikel von
Otto Back hervorheben bzw. einige ergänzende Gedanken formulieren.
In den Stellungnahmen von Manfred Riebe und Christian Gizewski gegen die Rechtschreibreform (europa dokumentaro Nr. 13 und 15) fehlen einige elementare Einsichten:
1. Rechtschreibung ist Schreibkonvention,
nicht Sprache. Alle Ausführungen über eine angebliche Sprachregulierung
entbehren also der Grundlage. Auch Sprach-, Meinungs- und Geistesfreiheit
sind somit
nicht bedroht.
2. Wenn Konventionen geändert werden, gibt es einige Umstellungsschwierigkeiten und Unsicherheiten. Es gibt spezifische Umstellungsfehler. Das ist normal und spricht nicht gegen die Qualität der Neuregelung. Wenn man nicht sauber zwischen umstellungsbedingten Fehlern und etwaigen Fehlern im Reformprojekt selbst unterscheidet, kommt man nicht zu einer sachgerechten Beurteilung.
3. Die Änderung der Schreibkonvention hat den Charakter einer Vereinfachung, weil die Zahl der Regeln verringert wird; d.h. die nun geltenden Regeln haben einen etwas höheren Generalisierungsgrad, es gibt ein paar Ausnahmen weniger.
4. Reformprojekte dieser Art müssen einander widersprechenden Kriterien gerecht werden; z.B. einerseits Erhaltung des gewohnten Schriftbildes, andererseits Vereinfachung, d.h. Veränderung. Das Ergebnis kann daher immer nur ein Kompromiss sein. Eine vollständig rationale Lösung ist bei Zielkriterien, die zueinander in einem Spannungsverhältnis stehen, logisch nicht möglich. Dies ist eine Grundeinsicht der formalen Teleologie. Wer sie nicht beachtet, neigt dazu, sein jeweiliges Lieblingskriterium auf Kosten der anderen Kriterien zu verabsolutieren und jede Reform von diesem Standpunkt aus unzureichend zu finden. Eine solche Kritik hat stets eine gewisse Plausibilität, zumindest für diejenigen, die den gleichen Geschmack haben, ist aber letztlich naiv. Dieses Problem ist den Esperantisten sehr vertraut.
5. Bei der Festlegung von Schreibkonventionen geht es nicht um das demokratische Austarieren von Interessengegensätzen gesellschaftlicher Gruppen, das evtl. viele komplizierte Ausnahmeregeln erfordert, sondern, ganz im Gegenteil, um eine Passungs- und Vereinfachungsaufgabe ähnlich der Setzung von DIN-Normen. Deshalb ist das Verfahren eines Normierungsausschusses hier angemessener als das parlamentarische Verfahren. (Die juristischen und demokratie-theoretischen Ausführungen von Herrn Gizewski sind deshalb für den Gegenstand viel zu anspruchsvoll und liegen neben der Sache.)
6. "Natürliche Strukturen der Rechtschreibung" (Riebe) gibt es nicht.
7. Was einfacher ist, ist darum nicht primitiver. (Das metrische System z.B. ist zwar einfacher, aber nicht primitiver als das angelsächsische System der Maße und Gewichte.) Das Argument der Primitivität kann man getrost ignorieren; es ist hier offensichtlich kein deskriptiver Begriff, sondern ein wertender Kampfbegriff. (Überhaupt sind die Polemiken voll von Kampfbegriffen und unsachlich-suggestiven Insinuationen. Man findet da viele entzückende Beispiele für jene argumentativen Kunstgriffe, die Schopenhauer unter dem Titel "eristische Dialektik" beleuchtet hat.)
Ich selbst behalte mir vor, immer mal wieder die alte Rechtschreibung zu verwenden - aus Bequemlichkeit und Gewohnheit, nicht weil ich gegen die Reform etwas hätte. Ich mache auch Umstellungsfehler. Und trotzdem bin ich für die Neuregelung. Guten Mutes ignoriere ich den Aufschrei der Studienräte, er wird verhallen wie der Aufschrei bei der Orthographiereform von 1901, der ganz ähnlich klang.
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